DVDESK
: Hohn und Hass in Unholzing

„Jagdszenen aus Niederbayern“, Regie: Peter Fleischmann. Mit Martin Sperr u. a., Deutschland 1968/1969

Die Hölle, das sind die Mitmenschen

Die Gemeinde ist versammelt. Die Kamera blickt in Großaufnahmen auf knorrige und gegerbte Gesichter. Das Dorf geht zur Kirche, alle sind da, sogar Hannelore, die den Männern des Orts zu Willen ist, wofür sie alle, Männer wie Frauen, verachten. Nur der geistig behinderte Ernstl kommt zu spät. Auf den Bildern an der Decke der Kirche sieht man Gewalt, eine Peitsche. So geht es hinein in Peter Fleischmanns Film „Jagdszenen aus Niederbayern“, und man möchte bald nur noch wieder hinaus.

Abram kommt an. Ihn spielt Martin Sperr, der das gleichnamige Theaterstück schrieb, das ein Skandalerfolg war. Seine Mutter spricht mit Abram kein Wort, als er ankommt. Das Dorf glaubt, er war in der Stadt im Gefängnis. Es glaubt, Abram ist schwul. Beim Schweigen und Blicken bleibt es nicht; er wird beschimpft, verhöhnt, es werden zotige Anspielungen gemacht. Andererseits kann man Abram gut brauchen, er repariert das landwirtschaftliche Gerät. Hannelore erwartet ein Kind und sagt, es sei von Abram. Man glaubt ihr nicht. Über das Dorf ziehen Düsenjäger und machen einen ohrenbetäubenden Krach. Auch die Traktoren sind laut, auch die Schweine im Dreck. Ein Stier wird einer Kuh zugeführt und bespringt sie. Ein Schwein wird geschlachtet, grunzt um sein schnell verlöschendes Leben. Mit dem vom Körper abgetrennten Schweinskopf treibt der Schorschl dann Scherz und rennt durch das Dorf und verlangt von einem Jungen, dass er die Schweineschnauze küsst.

Abram spricht wenig. Er ist kein Sympathieträger, er wehrt sich nicht, er bekennt sich nicht, er entzieht sich Hannelore, er erträgt den Hohn und Hass der Dorfbewohner, er repariert das landwirtschaftliche Gerät. Es gibt nicht nur ihn, der einer vom Dorf war und jetzt ein anderer ist, sondern auch richtige Fremde im Ort, das sind die Gastarbeiter. Man steht etwas abseits und bedenkt sie mit scheelem Blick und unfreundlichen Worten. Als sie am Ende dann abfahren, freut sich das Dorf. Eine hübsche junge Frau gibt es auch noch, von der man denkt, dass sie es vielleicht in die große Stadt schaffen wird, gespielt wird sie, in deren erster Rolle, von Hanna Schygulla.

„Jagdszenen aus Niederbayern“ ist ein Film über eine Gemeinschaft, die nichts Fremdes erträgt. Es gibt hier kaum eine Geschichte, keine Entwicklung, man ist von Anfang an in der Hölle, die die Mitmenschen sind, man weiß von Anfang an, dass es allen nur darum geht, das auszustoßen, was sie als Fremdkörper empfinden. Ein Heimatfilm der ganz giftigen Art, gedreht im Dorf Unholzing nahe dem niederbayerischen Landshut. So real der Schmutz und die Schweine und die Kirche und nicht zuletzt die Leute, die zum großen Teil aus dem Dorf stammen, auch aussehen, so echt (und im Falle des zahnlosen Hiasl so unverständlich) das Bayerisch auch klingt, das sie sprechen, und so empört die Leserbriefschreiber aus Niederbayern damals auch waren: Der Ton des Ganzen liegt auf halber Strecke zwischen dem realistischen und dem grotesken Register. Entlastend wirkt das aber nicht, eher wird die sehr konkret verortete Sache dadurch erst verallgemeinerungsfähig.

„Jagdszenen“ war einer der ersten großen Erfolge des Neuen Deutschen Films. Rob Houwer, der produzierte, hatte ein paar Jahre zuvor das Oberhausener Manifest mitunterzeichnet. Hanna Schygulla ging zu Fassbinder und Peter Stein hat Angela Winkler, weil er sie in diesem Film großartig fand, an die Schaubühne geholt. Peter Fleischmann hatte mittlere Erfolge und setzte später das Science-Fiction-Epos „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“ in den Sand. In Unholzing geht es mit der Landwirtschaft seit Jahren bergab. Das Dorf hat eine Website, auf der man die Statistiken dazu nachlesen kann.

EKKEHARD KNÖRER