Souvenirs der Freundschaft

BENEFIZ Im Hamburger Bahnhof findet heute eine Auktion für Christoph Schlingensiefs Operndorf statt. Aus Kunst soll Geld und wieder Kunst werden

Wenn heute Abend in einem Berliner Museum rote Plateaustiefel, ein Gasherd, ein Skateboard und ein Papierkorb unter den Hammer kommen, dann ist klar, dass es sich dabei nicht um eine Zwangsversteigerung handeln kann. Nein, vielmehr wechseln Werke prominenter Künstler wie Georg Baselitz, Andreas Gursky oder Olafur Eliasson den Besitzer, und zwar für einen guten Zweck. Unter dem futuristischen Namen „Auktion 3000“ werden im Hamburger Bahnhof über 80 Kunstwerke für eine außergewöhnliche Idee an den Meistbietenden verkauft. Diese Idee heißt „Von Afrika lernen“ und stammt von Christoph Schlingensief.

Vor vier Jahren beschloss der Regisseur und Performance-Künstler, ein Operndorf mitten in Afrika zu bauen. In dem Staat Burkina Faso sollte eine „interkulturelle Begegnungs- und Experimentierstätte“ entstehen. Den Grundstein für seine Vision konnte Schlingensief noch selbst legen – gemeinsam mit dem afrikanischen Architekten Francis Kéré plante er eine schneckenförmige Siedlung mit Schule, Krankenstation, Wohnungen und einem Festspielhaus in deren Zentrum. Ein halbes Jahr nach Baubeginn starb der Künstler an seiner Krebserkrankung.

Das Projekt aber ging weiter. Aino Laberenz, die Witwe von Schliengensief, übernahm die Leitung der neu gegründeten Festspielhaus GmbH, und bereits im Herbst 2011 konnte der erste Abschnitt des Dorfes fertiggestellt werden: die Schule. In ihr lernen seit vergangenem Oktober 50 Jungen und Mädchen nicht nur lesen und schreiben, sondern auch, sich künstlerisch auszudrücken. 580.000 Euro hat die erste Bauphase gekostet.

In diesem Jahr wird die zweite mit der Errichtung des Krankenhauses inklusive Solaranlage folgen. Allerdings nur, wenn die Festspielhaus GmbH genügend Gelder für ihr Projekt sammeln kann. Und hier kommen die Künstler ins Spiel. Viele spendeten ihre Kunst für das Projekt von Christoph Schlingensief.

Günther Uecker zum Beispiel stiftete einen Baumstumpf, dessen Krone aus groben Eisennägeln besteht. Schätzwert: 50.000 Euro. Der Fotograf Michael Wesely stellte verwelkende Tulpen für 16.000 Euro zur Verfügung, Eberhard Havekost ein Ölgemälde namens „Glanz“ für 50.000 Euro. Auch eine Skulptur von Peter Stauss und eine Gouache von Sigmar Polke werden heute Abend versteigert. Insgesamt beläuft sich der geschätzte Wert aller Kunstwerke auf etwa 1 Million Euro. „Das Geld, das wir da reinkriegen, ist konkret das Geld, mit dem wir weiterbauen können“, sagte Aino Laberenz, als sie ihr Vorhaben vorstellte. Auch sie gab ein Stück aus dem Nachlass ihres Mannes zur Versteigerung frei: das Originalkostüm aus seiner Inszenierung „Bambiland“. Mindestens 10.000 Euro soll das schrille Outfit aus transparentem Plastikpanzer, roten Plateaustiefeln, Rock und riesiger Kopfbedeckung einbringen.

Eine Tür von Patti Smith

Die Gewinne gehen in voller Höhe an das Operndorf in Burkina Faso. Dort wird jeder Cent gebraucht, denn das Projekt finanziert sich fast ausschließlich aus privaten Spenden. Mit dessen Unterstützung schmückt sich nun die internationale Kunstszene. Udo Kittelmann, Hausherr im Hamburger Bahnhof, ist beteiligt, aber auch Klaus Biesenbach vom MoMA New York und Chris Dercon, der Direktor der Tate Gallery in London.

Geleitet wird die Benefiz-Auktion von dem Anwalt und Kunstmäzen Peter Raue. Der ist vom Konzept überzeugt. Das Besondere für ihn: Es nehmen Menschen teil, die wirklich hinter Schlingensiefs Werk stehen. Das sind nicht nur Künstler und Galeristen, sondern auch Freunde. Patti Smith zum Beispiel schenkte dem Projekt eine weiße Holzplatte, groß wie eine Tür. Darauf malte sie mit feinen, schwarzen Linien ein Herz und die Widmung „dear Christoph, here are a few souvenirs of our friendship on earth and in the stratosphere of love and memories“.

Allerdings gewinnt man den Eindruck, es sei weniger relevant, was bei der Auktion versteigert wird als vielmehr von wem. Die Geste der Solidarität ist eindeutig interessanter als die Qualität der Kunstwerke. So können die geschätzten 25.000 Euro für eine Fotografie von Andreas Gursky wohl getrost als Peanuts bezeichnet werden, hält der Künstler bei „richtigen“ Auktionen doch den Rekordwert von 4,3 Millionen Euro. Aber vielleicht ist das nicht wichtig – solange das Operndorf in Afrika mithilfe dieser Peanuts weiter wachsen kann und Schlingensiefs Idee Wirklichkeit wird. Wie viel Geld Auktionator Peter Raue den bietenden Kunstliebhabern tatsächlich entlocken kann, zeigt sich sowieso erst heute Abend. ANDRIN SCHUMANN