Afrikanischer Pop mit Elektro-Beats: Das Gegenteil von Weltmusik

Das Label Honest Jons verschafft mit dem Doppelalbum "Shangaan Shake" aktuellem südafrikanischem Pop durch Elektronik-Produzenten verdiente Aufmerksamkeit.

Shangaan überwindet die Grenze zwischen Stadt und Land. Bild: Honest Jon's Records

Der Begriff outernational wurde in Jamaika (nicht nur) von Rastas gegen den westlichen Erste-Welt-Topos „international“ in Stellung gebracht, ein semantischer Angriff auf eine hegemoniale Ordnung, in der karibische Inselstaaten auch 50 Jahre nach ihrer formalen Unabhängigkeit nicht über den Status der Kolonie hinauskommen. Wer outernational sagt, sagt auch overstand, das ist weniger unterwürfig als understand und suggeriert höhere Weisheit.

Ignorieren wir für den Moment, dass sich die Rasta-Befreiungsrhetorik über die Jahrzehnte verbraucht und oft genug selbst diskreditiert hat, und nehmen outernational beim Wort. Es könnte eine musikalische Praxis charakterisieren, die nationale und kontinentale Grenzen überschreitet, ohne die blutige Vergangenheit von Sklaverei und Kolonialismus zu vergessen, ohne das Machtgefälle zwischen den Metropolen der sogenannten ersten Welt und der sogenannten Peripherie musikalisch zu beschönigen.

Outernational wäre demnach das Gegenteil von Weltmusik, denn Weltmusik ist aus der Perspektive derer, die den Begriff im Munde führen – und als Marktsegment etabliert haben – immer die Musik der Anderen, der Exoten. In dieser Ordnung ist Weltmusik das weitverzweigte Außen zum eigentlichen Innen der Popmusik, das nach wie vor in der angloamerikanisch dominierten Ersten Welt liegt.

Mit dem ethnopluralistischen Good Will seiner Verfechter zementiert der Begriff Weltmusik genau jene hierarchische World Order, die viele Weltmusikanten mit ihrer Kunst bekämpfen. Die Zusammenstellung „Shangaan Shake“ wäre also im besten Sinn outernational, hier treffen Musiker aus Detroit, Chicago, London und Berlin auf Musik(er) aus Südafrika. Bereits 2010 brachte das outernational orientierte Londoner Label Honest Jon’s das Doppelalbum „Shangaan Electro“ heraus, Untertitel: „New Wave Dance Music From South Africa“.

Zementierender Begriff

New Wave passt, teilt doch Shangaan Electro Schlüsseleigenschaften mit der New Wave der späten Siebziger: nervös, künstlich, schnell, repetitiv, irritierend, großstädtisch. Letzteres relativiert der Produzent: „Shangaan Music is both, rural and urban“, schreibt Nozinha in den Linernotes. Nozinha nennt sich auch Dog und hat viele Jobs: Toningenieur, Produzent, Komponist, Labelbesitzer, Marketingmanager, Talentscout, Sänger, Verkäufer.

Die Grenze zwischen Stadt und Land überwindet Shangaan, so Nozinha, durch den Einsatz der Marimba. „Ich habe Shangaan revolutioniert, ich habe Bass und Gitarre durch die Marimba ersetzt, die über die Orgel gespielt wird. Das hat den Nerv getroffen.“ Tatsächlich treffen die Marimba-Beats bei Tempo 180 bpm Nerven, man beginnt zu zappeln, die süßlichen, vielstimmigen Gesangsmelodien stehen in einem glücklich nervösmachenden Kontrast zum Marimba-Inferno, man könnte auch sagen: in Konkurrenz.

Definitiv keine First World Popsong-Order. Der alten Weltordnung ist geschuldet, dass „Shangaan Electro“ erst jetzt auf dem Radar der Pop-Öffentlichkeit auftaucht. Fast zwei Jahre nach der Erstveröffentlichung lenken namhafte europäische und US-(afro)amerikanische Produzenten die Aufmerksamkeit nach Südafrika. House- und Techno-Stars wie Anthony Shake Shakir, Theo Parrish oder Ricardo Villalobos produzieren Remixe von Shangaan-Tracks. 16 davon bringt Honest Jon’s jetzt unter dem Titel „Shangaan Shake“ als Doppelalbum heraus. Und plötzlich wollen alle die Originale hören.

Die alte Paul-Simon-Frage stellt sich unweigerlich, wenn (nicht nur) weiße Musiker aus der sogenannten Ersten Welt auf Kollegen aus Südafrika treffen. Entwicklungshilfe oder Ausbeutung? Das ist die Frage seit „Graceland“, Paul Simons Hit-Album von 1986, eingespielt mit südafrikanischen Musikern.

Viel Ärger gab es damals um die korrekte Bezahlung und Behandlung der Musiker. Feiert Simon seinen Erfolg auf dem Rücken ausgebeuteter Afrikaner oder verhilft er ihnen erst zu Wahrnehmung und Anerkennung?

Klar ist, dass „Shangaan Electro“ ohne die Parrish’ und Villalobos’ auf weniger Resonanz gestoßen wäre. Klar ist auch, dass hier nur ein Bruchteil des Geldes zu holen ist, das Simon mit seinem gepflegten Erwachsenenpop verdient hat, den er für „Graceland“ mit Afro-Ornamenten garniert hatte.

Folklore geht anders

Bei „Shangaan Shake“ liegen die Dinge anders, outernational. Keine Fotos demonstrativ interessierter weißer Männer inmitten einer fröhlichen Horde schwarzer Kinder jeden Alters. Stattdessen anonyme Figuren mit Totenkopfmasken und buntgefärbten Afro-Perücken. Folklore geht anders. Genau genommen handelt es sich hier weniger um Remixe als um „homages and reworks“. Genau genommen trifft die ungenaue Bezeichnung „meets“ den speziellen Charakter dieser Musik auf den Kopf. „Peverelist meets Tshetsha Boys“, „Burnt Friedman meets Zinja Hlungwani“ oder „Hype Williams meets Shangaan Electro“, so die Tracktitel. Eine heterogene Gruppe von Produzenten bearbeitet Nozinhas Aufnahmen, jeder auf ganz eigene Art.

Wie outernational führt auch das Verb meets nach Jamaika. „King Tubby Meets The Rockers Uptown“ ist die Mutter aller meet(ing)s, ein bahnbrechender Dub-Reggae-Track des Melodica-Künstlers Augustus Pablo aus dem Jahr 1975. Das Stück wird seither immer wieder gesampelt und verarbeitet, noch häufiger wird die Konstellation X meets Y als Titel-Referenz verwendet, als Hommage auf eine musikalische Kultur, deren Matrix die Version ist, also das Prinzip der endlosen Neumischbarkeit, Remixability einer vorhandenen Musik, die Methode Dub.

Dieser Methode fühlt sich der Berliner Produzent Mark Ernestus verpflichtet, mit seinem Partner Moritz von Oswaldt hat er als Rhythm & Sound das Genre Dub Techno in die Welt gesetzt, zudem hat er das „Shangaan Electro“-Album mitkompiliert. Zum „Shangaan Shake“ steuert er den ersten und letzten Track bei und gibt dem Marimba-Zappeln einen ruhigen Technopuls (und Bass). Wenn RP Boo auf Shangaan trifft, dann ist das ein grotesk aufgekratzter Gipfel musikalischer Subkulturen: „Africa Soul is coming“ deklamiert der Juke-Produzent aus Chicago zu klappernden Beats, um dann eine afrikanisch signifizierte Frauenstimme mit einem gebellten „Footwork! Footwork!“ zu konfrontieren. Footwork, weil Juke den Tänzern knochenbrecherische Fußarbeit abverlangt.

Einerlei, ob sich die Musiker von Angesicht zu Angesicht getroffen haben. Der Realität der globalen (Mangel-)Ökonomie entspricht ein Meeting via Filetransfer ohnehin eher als eine Reise nach Johannesburg wie einst bei Paul Simon, Township-Safari inklusive. Bei King Tubby und Augustus Pablo prägt das vermeintlich primitive Kinderinstrument Melodica den Sound, beim Shangaan Electro ist es die ähnlich beleumundete Marimba.

Seit einigen Jahren stößt man in der avancierteren elektronischen Musik öfter auf (synthetische) Steeldrums, die ewig belächelten Ölfasser aus der Belafonte-Idylle. Eine Facette des Outernational Sounds: Ehedem als minderwertig geltende Instrumente von der Peripherie drängen ins Zentrum. Aber keine Angst, die phallische Gitarre ist nicht vom Aussterben bedroht. Nicht mal von der Kastration.

■ Various Artists, „Shangaan Shake“ (Honest Jon’s Records/Indigo)
Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.