Ausstellung über Anders Zorn: Zwischen Chicago und Mittsommernacht

Mit dem Maler Anders Zorn präsentiert das Lübecker Behnhaus einen Impressionisten, der seinerzeit bekannter war als Max Liebermann. So ganz ins impressionistische Schema passte der Schwede allerdings nicht. Das war ihm aber auch herzlich egal.

Irres, fast surreales Licht: Rudernde in tagheller schwedischer "Mitternacht" (1891). Bild: Katalog

LÜBECK taz | Ob die Ehefrau unter seinen Affären mit den Modellen litt? Das sei nicht überliefert, heißt es im Katalog zur Lübecker Ausstellung. Schriftlich ist es das vielleicht auch nicht, aber wer auf das Porträt Emma Zorns gleich daneben schaut, kann sich seinen Teil denken angesichts der bleichen, hohläugigen und erschöpften Frau im roten Kleid.

Nun ist der Chauvinismus, der sich da andeutet, kein Alleinstellungsmerkmal des schwedischen Malers Anders Zorn (1860–1920), dem das Lübecker Behnhaus zurzeit eine Retrospektive widmet. Was den als „Impressionist“ gehandelten Zorn interessant macht, ist vielmehr seine stilistische und motivische Ambivalenz, die ihn zielsicher zwischen allen Stühlen platziert. So bevorzugte er einerseits in tatsächlicher Impressionisten-Manier die Freiluftmalerei gegenüber derjenigen im Atelier und malte gern großstädtisch-mondänes Leben: Einen Hauch Toulouse-Lautrec, ein bisschen Degas, etwas Renoir kann man bei ihm finden.

Und ein bisschen Liebermann, mit dem er befreundet war. Wie dieser malte Zorn auch arbeitende Frauen und wie Liebermann malte er sie ohne sozialkritischen Blick. Er hielt die Bäckerinnen und Brauerinnen für ein interessantes Motiv, aber eben nur aus akademisch-künstlerischer Sicht.

Doch die Parallelen reichen noch weiter: Die motivische Karrieren der beiden verlaufen merkwürdig gegenläufig: Während Liebermann zu Beginn seiner Karriere Arbeiterinnen – Netzflickerinnen und Flachsspinnerinnen – malte und später das gehobene Bürgertum beim Lustwandeln porträtierte, machte Zorn es anders herum: Er wollte sich zunächst Ansehen auch im Ausland verschaffen, um sein Renommee und sein Budget aufzubessern, damit er die gut situierte Emma heiraten konnte. Es gelang: In London, Chicago und Paris bekam er Zugang zu illustren Kreisen, als sich erst herumgesprochen hatte, wie treffend er porträtieren konnte. Auch das Aquarellieren zugunsten der renommierten Ölmalerei aufzugeben passte in diese Selbstvermarktungs-Strategie.

Aber Zorn wollte nicht nur Geld. Er wollte sich auch weiterentwickeln und war Ende der 1880er-Jahre in Paris seinen dortigen Landsleuten um einiges voraus: Gezielt suchte er Kontakt zur französischen Avantgarde, während die Schweden eher unter sich blieben und dem konservativeren Naturalismus frönten. Zorn war enttäuscht, weil sie den neuen Stil nicht annehmen, lieber nur in Schweden ausstellen und das finanzielle Risiko scheuten.

Er selbst ging es ein und reüssierte auch, aber zum Pionier der Impressionisten wurde er nie. Nicht einmal so ganz einer der ihren, denn selbst ein Bild wie „Omnibus“, das ihm internationale Anerkennung brachte, unterschied sich stark von denen der Franzosen: Zorns müde von der Arbeit heimfahrenden Figuren sind in düsteren Brauntönen gehalten und atmen nichts von der hell- und starkfarbigen Leichtigkeit des Impressionismus. In einem Punkt allerdings – und hierauf richtet die Lübecker Ausstellung besonderes Augenmerk – zog er mit den Kollegen vom Kontinent gleich: in der Freiluft-Aktmalerei.

Die Impressionisten hatten es satt, nackte Frauen stets als mythologische „Venus“ oder „Batseba im Bade“ zu etikettieren und begannen, sie ohne solchen mythologischen Kontext zu malen. Sie stellten sie einfach in der Landschaft und erfanden keine langwierige Erzählung dazu. Auch Anders Zorn tat diesen Schritt in die Moderne – ausgerechnet, nachdem er in die schwedische Provinz zurückgekehrt war, in sein Heimatdorf Mora.

Dort begann er, Frauen in den schwedischen Schären zu malen, was ihm gut passte, denn Wasser hatte er immer gern gemalt. Und die Frauentypen: schlicht, teils unbeholfen, teils in sich versunken, selten offensiv lasziv, sondern eher ein bisschen verhuscht und naiv. Waren sie bekleidet, trugen sie volkstümliche Trachten oder tanzten beim Mittsommerfest. Oder rudern – wie die die junge Frau auf dem Bild „Mitternacht“ ein Boot durch die taghelle Nacht. Diese Szenen spielen in einem nicht-mondänen, bäuerlichen Milieu, und der Blick darauf ist keineswegs arrogant.

Es scheint, als habe Zorn Farben, Formen und Posen seiner Heimat bewahren wollen, die er, durch die Welt jettend, verleugnet hatte. Er selbst war als unehelicher Sohn einer Bäuerin auf dem Hof von deren Eltern aufgewachsen. Seinen Vater, einen Braumeister, traf er nie. Als er in der zweiten Lebenshälfte nach Schweden zurückkehrte, malte er nicht nur – auf moderne Art –, sondern sammelte auch lokales Kunsthandwerk und gründete gar ein Freilichtmuseum.

Was Zorns Bezug zur Norddeutschland betrifft, gibt es noch eine Hamburger Anekdote: Alfred Lichtwark, erster Direktor der dortigen Kunsthalle, wollte die Moderne salonfähig machen, indem er Avantgarde-Künstler Hamburg-Motive malen ließ. Auch bei Zorn fragte er an: Der sollte den Hafen malen.

Lichtwark bekam zwei großformatige, farblich sauber abgestimmte Momentaufnahmen. Revolutionär oder auch nur impressionistisch inspiriert waren sie nicht, daher behielt er nur eins. Man habe sich, schrieb Lichtwark, ein Bild gewünscht, das stärker von Zorns „Art zu sehen und zu malen“ zeuge. Vielleicht hätte er Zorn, der das Zusammenspiel von Licht und Wasser am liebsten naturalistisch malte, das vorher sagen sollen.

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