Der unsichtbare Feind

KRIEGSFILM Afghanistan ist im Kino meist ein Spektakel aus Adrenalin, Angst und Blut. In der Doku „Generation Kunduz“ ist das anders

VON STEFAN REINECKE

Kill them all“, steht mit Filzstift auf dem Holzbalken des Beobachtungspostens. Von dort blicken dänische Isaf-Soldaten in eine sandgraue Einöde. Irgendwo dort ist der Feind. Manchmal visieren sie mit Teleobjektiven Figuren in der Ferne an, vielleicht Taliban, vielleicht Bauern. Als sie ein Ziel mit Granaten beschießen, stirbt ein afghanisches Mädchen. „Pech, was kümmert es mich“, sagt ein Soldat.

Actionfilm als Muster

„Camp Armadillo“ zeigt vier junge Dänen, die abenteuerlustig in den Krieg ziehen. Wir sehen das zähe Warten auf den Angriff, die zermürbenden Nachrichten von Überfällen auf Patrouillen, die Angst. „ Ein bisschen mehr Action wäre cool“, sagt einer. Die Klimax ist ein Gefecht, bei dem wir hautnah dabei sind: ein furioses Chaos, aus Hand- und Helmkameras montiert, Reißschwenk, Tonfetzen, MG-Geknatter. Am Ende hat der Trupp vier Taliban erlegt, blutige Leiber mit zerfetzten Gesichtern in einem Graben. „Fuck, war das fett. Die röchelten noch, und wir halten drauf, 30, 40 Schuss. Das war Krieg“, sagt einer. Gefangene werden nicht gemacht.

„Camp Armadillo“, 2010 von Janus Metz gedreht, sieht aus wie ein Arthouse-tauglicher Actionfilm, mit genreüblichem Personal und Erzählmustern. Es gibt den Naiven, der sich im Kampf bewähren muss, denn Krieg ist Initiationsritual. Es gibt den souveränen, kumpeligen Befehlshaber, die Entgrenzung durch den Adrenalinschub des Gefechts, die Zweifel, die mit coolen Sprüchen beiseite gewischt werden. Die Leichen aber sind echt.

Wir sind dabei, der Krieg ist echt

Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität scheinen zu verschwimmen. Das Dokumentarische sieht (dank Farbfiltern) wie Inszenierung aus. Die vier Protagonisten wirken manchmal wie Schauspieler in einem Kriegsfilm. „Welcome to Vietnam“, murmelt ein Isaf-Soldat auf dem Weg durchs mit Sprengfallen verminte Gelände. Einen ähnlichen Sog entwickelt der US-Dokumentarfilm „Restrepo“ (2010), von Sebastian Junger und Tim Hetherington, dem Porträt eines platoons auf einem Außenposten in den afghanischen Bergen. Noch vor dem Vorspann explodiert eine Sprengfalle unter dem gepanzerten Wagen, der Ton setzt aus, die Kamera sucht hektisch Deckung. Wir sind dabei, der Krieg ist echt. Tim Hetherington starb 2011 bei einem Gefecht in Libyen.

Krieg ist Mist, aber die Kameraden sind großartig – das ist das Leitmotiv. „Die Jungs sind meine Familie“, sagt der breitbackige Platoon-Führer, der wie ein ruppiger Footballspieler wirkt. Krieg ist schrecklich, aber er entlastet von den Zumutungen und Entfremdungen der zivilen Moderne. Suggestiv zeigt dies Danfung Dennis’ Doku „Hell and Back Again“ (2011). Dort sieht man einen schwer verwundeten US-Soldaten, der – endlich zu Hause – nur darauf wartet, wieder nach Afghanistan zu dürfen: Sehnsucht nach der Schlacht.

Die Helden dieser Filme sind heroisch und kaputt, lebenssüchtig und neurotisch. Die Frage, ob das Anti- oder Prokriegsfilme sind, ist müßig. Diese Bilder illustrieren, unabhängig von den Absichten, vor allem das Desaster der Isaf. Die Soldaten bewegen sich mit ihrer Hightech-Ausrüstung wie Verlorene durch die zerklüfteten Berge. Eigentlich sollen sie den Bau einer Straße absichern oder die Zivilisten vor den Taliban beschützen. Doch die Afghanen, die meist bloß als Schatten oder Objekte im Zielfernrohr vorkommen, wollen keine Straße, die Ausländer bauen. Die Granaten, die sie töten, feuert häufig Isaf ab. Aus der Sicht dieser Soldaten bleibt Afghanistan Terra incognita, ein bedrohliches Rätsel. Was die hageren, fahlen Männer mit ihren Turbanen, die manchmal zum Tor des Feldlagers kommen, wirklich wollen, vermag kein Dolmetscher zu klären.

„Wir killen keine Tiere, wir killen Menschen“, murmelt ein Soldat in „Restrepo“, während er sein MG in Stellung bringt: „And their hearts and minds.“ Das war die US-Parole in Vietnam – und der Afghanistankrieg sieht aus wie eine Wiederaufführung ohne Dschungel. „Ihr werdet verlieren, denn die Taliban sind arm wie wir“, sagt ein Afghane in „Camp Armadillo“. Die dänischen Soldaten zucken nur mit den Schultern. Die Protagonisten sind Zerrissene, das Gefecht ist ihre Katharsis und ihr Trauma zugleich. Afghanistan ist dabei nur der Schauplatz dieses Dramas.

„Generation Kunduz“ von Martin Gerner versucht diesen Schauplatz zur Sprache kommen zu lassen. Kein Gewaltspektakel, dafür Menschen, die gegen den Krieg, gegen die Taliban um zivile Normalität ringen.

„Generation Kunduz“ (seit Donnerstag im Kino) zeigt eine Radiomoderatorin, die Gewalt gegen Frauen anprangert und das Studio lieber mit Burka verlässt. Ein junger Mann mit knallbunter Satinjacke will einen Liebesfilm drehen und muss mit religiösen Ressentiments kämpfen. Ein Wahlbeobachter weiß: „Wer in Afghanistan etwas bewegen will, wird noch am gleichen Tag erschossen.“ Diese drei Protagonisten verkörpern das Drama der städtischen afghanischen Gesellschaft: den Traum von der Freiheit, die Angst vor der Gewalt, auch vor jener der Isaf, deren Panzer rücksichtslos Passanten überrollen. „Wenn ein Deutscher stirbt, ist das eine Nachricht, wenn eine Dutzend Afghanen sterben, nicht“, sagt die Radiomoderatorin.

Das Klischee korrigieren

„Generation Kunduz“ versucht, das Klischee vom hoffnungslos rückständigen Afghanistan zu korrigieren. Das sorgt für einen pädagogischen Oberton, nicht für Nähe zu den Personen. Gerner findet keinen flüssigen erzählerischen Rhythmus: Es bleibt eine Reihung von Figuren, die sich oft per Voice over selbst erklären. Die dichteste Szene zeigt, was man nicht sieht. Eine Polizistin erklärt, warum nur sie und keine ihrer Kolleginnen mit dem Ausländer Gerner redet. Zu gefährlich, die Nachbarn tuscheln schon. So engmaschig ist die soziale Kontrolle. Diese Szene zeigt, indem sie es erahnen lässt, was nicht gezeigt werden kann. So kompliziert ist das.

Auch in den Erzählungen in „Generation Kunduz“ sind die Taliban das böse Gespenst, ein unsichtbarer Schrecken. „Wir dürfen unsere Angst vor ihnen nicht zeigen“, sagt die Radiomoderatorin. Die Taliban sind in allen Afghanistan-Filmen unsichtbar, ein blinder Fleck. Im Dokumentarischen ist das leicht erklärbar. Aber auch in Spielfilmen, wie Robert Redfords „Von Löwen und Lämmern“ (2007), sieht man von ihnen nur das Mündungsfeuer. Die Taliban sind der böse Geist der Berge, unsichtbar und scheinbar allgegenwärtig. Den Feind, den man nicht sieht und nicht versteht, kann man auch nicht besiegen. Das ist die Subtext dieser Filme, die Botschaft ihrer Bildersprache: Der Krieg gegen einen Feind, von dem man sich kein Bild machen kann, ist verloren.

■ „Generation Kunduz. Der Krieg der Anderen“. Regie: Martin Gerner, 60 Minuten, Deutschland 2011