Gegen den gerichteten Blick

ÜBERSCHREITUNG Mit dem Begriff „Animismus“ versucht eine Ausstellung in Berlin, antagonistische Ideen von Kultur und Natur, Leben und Nichtleben aufzubrechen

Animistisches trifft auf Animalisches, Animationen begegnen Animierungen

VON MARCUS WOELLER

Die Moderne hat sich lange gehalten. Trotz mehrerer Postmodernen. Mehr als ein Jahrhundert bestimmt sie schon paradigmatisch unsere (westliche) Gesellschaft als logische Folge aus den Errungenschaften der Aufklärung. Subjekt und Objekt wurden getrennt, Kultur und Natur stehen sich als Antagonisten unserer Weltsicht gegenüber, Realität und Imagination bestimmen unsere Wahrnehmung als Entweder-oder-Prinzip.

Eine Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt in Berlin bemüht sich nun um eine Neueinschätzung der Moderne und setzt bei einem Begriff an, der ursprünglich das Exempel statuieren sollte, wie modern und prämodern voneinander zu unterscheiden sind: Animismus.

Vom primitiven Anderen

Ausgehend vom lateinischen Wort animus für Seele oder Geist, wurde der Animismus zu einer zentralen Theorie der Ethnologie des 19. Jahrhunderts. Die charakteristische Unterscheidung des mutmaßlich primitiven Anderen vom modernen Selbst liege im Glauben an die Beseeltheit der Dinge. Während sich der aufgeklärt-rationale Mensch der Seele nur in sich selbst sicher war, vermutete der zu kolonialisierende, nicht mehr ganz so „edle“ Wilde die Geister überall – im Tier, in der Pflanze, im Gestein, im kultischen Artefakt.

Der britische Anthropologe Edward B. Tylor beschrieb mit „Animismus“ eine Art indigener Basisreligion, in der noch Überreste eines Naturzustands aufblitzen. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts hatte sich dieses Konzept zwar schnell selbst diskreditiert, heute aber bietet es Ansatzpunkte, sich mit den Separationsstrategien der Moderne auseinanderzusetzen.

Das Haus der Kulturen der Welt versteht es als seine Aufgabe, die Beziehungen zwischen den europäisch-westlichen und den nichteuropäischen Kulturen, die lange unter dem Kolonialismus litten, Ausgrenzung oder Nichtbeachtung erfuhren, neu zu definieren. Die Ausstellung „Animismus“ hat Modellcharakter. Ausstellungsmacher Anselm Franke arbeitet schon seit mehr als fünf Jahren daran; Vorgängerausstellungen waren in Antwerpen, Bern und Wien zu sehen. In Berlin will er die ganze Bandbreite des Animismus zur Debatte stellen. Die Ausstellung hat er als Potpourri verschiedenster Assoziationsketten mit enzyklopädischem Anspruch entworfen: Animistisches trifft auf Animalisches, Animationen begegnen Animierungen.

An der Technik des Animationsfilms lässt sich ein zentrales Thema der Beseelung des Unbeseelten aufzeigen. Walt Disneys „Skeleton Dance“ von 1929 zeigt die grenzüberschreitenden Möglichkeiten des Zeichentricks. Wie in der Allegorie des Totentanzes, die seit dem Mittelalter an die Gewalt des Todes über das Leben erinnert, erheben sich Skelette aus ihren Gräbern, tanzen in schwungvoller Formation und hämmern sich gegenseitig auf die Knochen, als wären die Stäbe eines Xylofons.

Jimmie Durham macht diese Ursprungsidee des Animismus, die Grenze zwischen dem unbelebten Ding und dem irgendwie geistig aufgeladenen Objekt zu überschreiten, besonders deutlich. In seiner Arbeit spielt Stein eine wesentliche Rolle. Jeder Stein ist sozusagen von Natur aus eine Skulptur , ein Mineral gewordener Widerspruch zwischen Natur und Kultur. Steine sind statisch, sie werden funktionalisiert, als Metaphern missbraucht oder politisch überformt.

Von Natur aus Skulptur

Seine Installation „The Museum of Stones“ von 2011/12 kann man geologisch interpretieren, aber auch als mythische Ansammlung animistisch aufgewerteter Schaustücke. Also liegen Wackersteine neben Lapislazuli, dem göttlichen Stein der Perser. Man fällt auf die Mimikry von Kunststein rein, wundert sich über die fettfreie Eleganz versteinerten Specks. Adolf Hitler ließ Granit aus skandinavischen Steinbrüchen sägen, nordisch aufgeladenes Baumaterial für den Neubau Berlins als Reichshauptstadt Germania. Zu diesem architektonischen Albtraum kam es nicht, die Brocken liegen aber immer noch als stumme Zeugen ihrer monströsen Bestimmung in norwegischen Wäldern herum.

Die Ausstellung will viel. Vor allem Fragen stellen, Erzählstränge öffnen, die Gerichtetheit des Blicks aufbrechen. Und so wirkt die Ausstellung auch mehr wie eine geisteswissenschaftliche Asservatenkammer, die alle möglichen Informationsspender hierarchiefrei heranziehen will: Kunstwerke, Filme, Fotos und jede Menge Archivmaterialien in Schaukästen und auf Stellwänden. Sie animiert zum Mitforschen, ermüdet aber gleichzeitig durch den Mangel an Charme der Präsentation und wird an manchen Stellen das, was sie ja eigentlich nicht sein will: ein ethnografisches Museum.

Candida Höfer hat diese Gefahr längst dokumentiert. Sie fotografierte ethnografische Museen, die bei aller Unterschiedlichkeit ein Merkmal eint: Sie zwängen die aus aller Welt zusammengeklaubten Artefakte in Vitrinen, Schubläden und Wandschränke. Kategorisiert und archiviert, verlieren sie ihre Spiritualität an wissenschaftliche Exaktheit. Doch wie viel Animismus steckt noch in ihnen? Und wie gefährlich ist er für uns moderne Menschen? In einem Bild vom Ethnologischen Museum Berlin schützen sich zwei Konservatoren mit Schutzkleidung und Atemmaske vor den vermeintlich unbeseelten Objekten. Ob das hilft? Vielleicht sterben ägyptische Grabräuber ja nicht an giftigen Sporen, sondern eben doch am Fluch der Pharaonen.

■ Haus der Kulturen der Welt, Berlin, bis 6. Mai 2012. www.hkw.de