SAUDISCHER PRINZ AUF EINKAUFSTOUR IN SOHO
: Nacht der offenen Tür

Trends & Demut

JULIA GROSSE

Nach einer Feier spazierte ich eines Nachts die Regent Street hinunter, Londons prächtige Einkaufsmeile, die den Trafalgar Square mit Oxford Circus verbindet. Hier plustert sich der Kapitalismus über Stockwerke und kilometerlange Schaufenster noch in ungeniertem Überfluss auf, hier scheint die Welt aus Kreditkarten und Kaschmirpullovern noch in Ordnung zu sein. Und mittendrin residiert das legendäre Spielwarenimperium „Hamleys“. Kinder laufen hier Amok, ihre Eltern erst recht, und die Angestellten, verkleidet als Peter Pan oder Cinderella, grinsen sich für einen schäbigen Stundenlohn in die Depression. Hier tobt sich der wilde Konsum innerhalb fester Öffnungszeiten aus, Punkt 20 Uhr ist Schluss.

Wie kommt es also, dass die Türen von „Hamleys“ um zwei Uhr früh sperrangelweit auf und davor zwei fette Lieferwagen standen? Gegen einen Raubüberfall sprach die Tatsache, dass Mitarbeiter des Ladens eine prall gefüllte Spielzeugtüte nach der anderen in die Autos luden. Das hier roch nach Kaufrausch im Märchen-Monarchenstil: Ein Mitglied der saudischen Königsfamilie war in der Stadt und schien London mit einem überdimensionalen Bonbonladen verwechselt zu haben: So hielt der Prinz nicht nur die Angestellten von „Hamleys“ mitten in der Nacht auf den Beinen.

An einem anderen Tag waren es das British Museum oder das Natural History Museum, dann eine ganze Bowlingbahn, ein Multiplexkino, Restaurants oder diverse Buchläden. Alle schmissen in den Morgenstunden speziell für Hochwürden den Betrieb an, und Strukturen und Regeln, an die andere Menschen sich halten müssen, wurden hier plötzlich wertlos. Gähnende Angestellten harrten zum Teil stundenlang aus, um schließlich zu erfahren, dass der Prinz nun doch nicht um drei Uhr morgens bowlen oder eine Radierung von Rembrandt studieren wolle.

Den Wunsch nach Anonymität kann man ab einem bestimmten Bekanntheitsgrad sogar verstehen. Und natürlich würde auch für Präsident Obama nachts das British Museum geöffnet. Doch wie jedes andere Individuum mit Geld hätte sich auch der saudische Prinz all die Bücher und Teddybären einfach liefern lassen können. Aber hier geht es um die Demonstration von unendlichen Möglichkeiten, und es erinnert an Allmachtsfantasien wie aus dem Märchen. Der Kaiser will durchsichtige Kleider aus kostbarem Nichts? Also zerschneidet gefälligst die Luft und näht ihm welche!

Die Auswüchse dieses Superlativ-Denkens (Ich tu es, da ich es kann) werden immer obszöner: Sei es das weltgrößte Privatdomizil für die kleine Familie von Mukesh Ambani, das 27-stöckig mitten im indischen Mumbai thront wie Neuschwanstein in der Hölle. Oder die Festtafel eines Megakunstmoguls, an welcher die geladenen internationalen Gäste plötzlich wie hungrige Untertanen dabei zuschauen mussten, wie ihr mächtiger Gastgeber als Erster Berge an Fleisch serviert bekam.

Warum wird bei all diesem unfassbar antiquierten Testosterontheater eigentlich mitgemacht? Museumsdirektoren, Spielzeuggeschäfte und Kinos halten strahlend die Stellung, weil sie vor der ganzen Kohle kapitulieren, die im Fall der Fälle fließen wird. Außerdem kann man den Kollegen am nächsten Tag eine Wahnsinnsgeschichte erzählen, die zu unglaublich klingt, um wahr zu sein. Märchen eben …

■ Julia Grosse ist taz-Kulturkorrespondentin in London