House is the teacher, House is the preacher

DUBSTEP Scratcha DVA und Addison Groove untermauern mit ihren Debütalben den weltumarmenden Status britischer Bassmusik

VON CHRISTIAN WERTHSCHULTE

Am Anfang war der Bass, aus dem Bass wurde House. Was sich vor zwei Jahren zart andeutete, ist inzwischen nicht mehr zu überhören. In keiner Dancemusic ist House lebendiger als in der britischen Bassmusik. Wenn House die Verkörperung der Predigt auf dem Dancefloor ist, dann ist Scratcha DVA der Priester der Rudeness. Sechs Jahre lang moderierte er jeden Morgen die „Grimey Breakfast Show“ auf dem ehemaligen Londoner Piratensender Rinse.FM, wo er seinen Gospel aus streetsmarten Witzen und dem Londoner House-Stil UK Funky predigte.

UK Funky ist die innerweltliche Antwort auf das Glück, das House in der Transzendenz sucht. Vom Clubtempel ist es auf die Straßen des multikulturellen Londoner Ostens und seiner Soundspuren gewandert. Nur dort konnte diese Mischung aus Soca-Rhythmen, einer postkolonialen Verklärung Afrikas und dem Slang junger Londoner entstehen, die niemals in Richtung Deepness abdriftet.

Ganz schön hässlich

Auf DVAs Debütalbum „Pretty Ugly“ sind von UK Funky in erster Linie die hart komprimierten Claps übrig geblieben, die die synkopierten Rhythmen über Albumlänge tragen. Scratcha ist schlau genug, um zu wissen, dass er seine Street-Credibility nicht mehr beweisen muss. Stattdessen steigt er in die Geschichte des elektronischen Black Atlantic herab und gräbt ein Instrument aus, für das sein Label Hyperdub mittlerweile berühmt ist: den Analogsynthesizer.

Immer wieder durchbrechen modulierte Synthesizersprengsel das Rhythmusgerüst, verlieren sich im elektronischen Freakout oder produzieren Hooklines im Abzählreimformat: pseudo-infantil und avantgardistisch zugleich. Die Soundpsychedelik der afrofuturistischen Pioniere ist vom Rave halt doch nur einen Mausklick entfernt. Aber „Pretty Ugly“ ist dabei an jeder Stelle von einem Gespür durchzogen, das sich nicht damit begnügt, nur den Soundtrack für die nächste Clubnacht zu liefern. Scratcha hat Ambitionen, eine große Lücke britischer Bassmusik zu füllen – den Track, der diese spezifische Vagheit namens „Lebensgefühl“ mit technologischer Avanciertheit abbildet.

Und mit dem Titelstück des Albums oder dem durch Viktor Duplaix’ synthetischen Soulgesang getragenen „Madness“ liefert Scratcha dafür zwei Kandidaten, denen nur die überbordende Komplexität der Arrangements im Weg steht.

Auch Addison Groove ist ein Gläubiger der House-Musik, aber anstatt des Gospels liebt er ihre dreckige Seite: den Jack. Diese cartoonhafte Übersteigerung von Körperlichkeit ist im Laufe der letzten Jahre von House in das Subgenre Chicago Juke gewandert und wurde mit Addison Grooves Maxi „Footcrab“ endgültig kompatibel für britische Dancefloors.

Der Jack funktioniert am besten über Verzicht – fast alle Sounds kommen aus einem Gerät, dem Drumsynthesizer Roland TR-808. Auch auf Addison Grooves Debütalbum „Transistor Rhythm“ dreht sich alles um die Vergötterung dieser Maschine und ihrer Klangsignaturen: die warme Bassdrum, die Cowbell und die Toms, deren Nachhall so wunderbar unecht klingt. Sounds, die jeder Clubgänger nachbeten kann.

Addison Groove bastelt daraus verschachtelte Dancefloor-Tracks, die mal die komplexen Rhythmuspatterns von Juke, mal die Soundpalette von Jungle imitieren. Darüber legt er klassische Anrufungen aus dem Ghetto-Tech-Wortschatz, die zum gemeinsamen Powackeln auffordern. „Work it to the bone!“

Das ist unterhaltsam und sicheres Clubmaterial, wirkt aber auf Albumlänge ein wenig autistisch. Wo DVA seine Einflüsse synthetisiert und immer mit einer nach außen blickenden Popsensibilität versieht, gefällt sich „Transistor Rhythm“ in der perfekten Nachahmung eines Originals. Hier zeigt sich die Leidenschaft des echten Fans. Nur – manchmal wünschte man sich, Addison Groove würde die Kopfhörer absetzen und von seinem Laptop aufblicken, um zu verstehen, was um ihn herum geschieht.

■ DVA: „Pretty Ugly“ (Hyperdub)

■ Addison Groove: „Transistor Rhythm“ (50 Weapons/Rough Trade)