Ästhetische Endlosschleife

TATE MODERN London und seine Superlative: Die Blockbuster-Retrospektive zum Werk von Damien Hirst soll im Olympiasommer die Massen anziehen

VON JULIA GROSSE

Der Effekt ist erstaunlich. Man betritt die Ausstellung und würde auf den ersten Blick nicht zwingend erkennen, von wem die Werke sind. Bunte Kochutensilien, ein schlichter orangefarbener Wandschrank oder ein Gemälde voller unsauber gemalter bunter Punkte. Die Arbeiten entstanden während Damien Hirsts Zeit als Londoner Kunststudent, und sie vermitteln eine Bescheidenheit, die man mit dem Namen „Hirst“ schon lange nicht mehr verbindet.

Wochenlang wurde über diese Schau gerätselt und gelästert, seit Mittwoch ist sie eröffnet. Der Kritiker Julian Spalding gab Besitzern von Hirst-Werken den Rat, diese schnell zu verkaufen, da sie künftig kaum mehr wert seien als ihre Posterversion. Doch die Retrospektive, die der Tate Modern angeblich seit Jahren am Herzen liegt und die im Sommer auch die olympische Besucherwelle einfangen will, ist für einen derart unbeliebten Künstler wie Damien Hirst ein Segen. Es ist ein Blick, vorbei an der nervigen Fratze des satten Superstars mit der blaugefärbten Sonnenbrille, auf über siebzig Werke aus 25 Jahren, von denen gut ein Drittel im Getöse um Haie und Diamantenschädel untergegangen war.

Dabei sind es gerade die frühen Arbeiten, in denen Hirsts Assoziationen rund um sein Wahlthema Vergänglichkeit regelrecht explodierten. Er legte grotesk aufgereihte Würste und Fische ein oder füllte eine Vitrine penibel mit gierig kurzgerauchten Kippen. Doch es ist „A Thousand Years“ (1990), das auf den Museumsbesucher bis heute einen regelrecht körperlichen Effekt ausübt: Ein verrottender Kuhkopf teilt sich eine große gläserne Box mit Horden von Fliegen. Man fühlt sich unangenehm überlegen, diesen armen Kreaturen dabei zuzusehen, wie sie sich ernähren, vermehren oder verzweifelt zappelnd in Blutlachen des Kuhschädels verenden.

Schlund der Megahits

Und doch hat diese Arbeit immer noch eine Stärke, die selbst den jungen Hirst verunsichert haben muss. „I think you started with the final act, my dear“, kommentierte Lucian Freud das Werk. Hatte Hirst bereits mit Mitte zwanzig das beste Werk seines Schaffens produziert?

Von den frühen, unbekannteren Arbeiten sind es nur ein paar Schritte direkt in den Schlund der Megahits: Man schaut direkt in das Maul seines berühmten Hais in Formaldehyd. In diesem zentralen Raum der Schau befindet sich das Best-of, das Sammler von Miami bis Moskau so lieben, von der zerteilten eingelegten Kuh mit ihrem Jungen bis zu unerträglich vielen Variationen seiner dekorativen Punkt-Gemälde. Der Raum ist offen und so angelegt, dass man als Besucher immer wieder an ihm vorbei muss – wie an einem kostspieligen Werbespot, der das ganze Drumherum erst finanziert. Die Arbeit „In and Out of Love“ von 1991, die erstmals in ihrer Gesamtheit wieder installiert wurde, zeigt einen Raum mit Hirsts Schmetterlingsbildern, während im beheizten Nebenzimmer unzählige lebendige Artgenossen umherflattern. Ein kleines Naturspektakel im White Cube. Hirst liebt dieses Tänzeln auf dem schmalen Grad zwischen dem Schönen und dem Makabren.

Was die Kuratorin Ann Gallagher allerdings nicht vermeiden konnte, ist, dass die Ausstellung wie eine große, ästhetische und inhaltliche Endlosschleife wirkt. Von jedem Werk gibt es irgendwann eine elaborierte, edlere Version. Seinen ersten Medikamentenschrank, „Sinner“, füllte Hirst 1988 noch mit den Arzneien seiner Großmutter. Die Kabinette wuchsen, sie überzogen irgendwann elegant ganze Wände und schimmern im letzten Ausstellungsraum in Gold und voller Zirkonia anstelle der Pillen: Gallagher versuchte Hirsts legendäre Sotheby’s-Versteigerung inmitten der Krise 2008 augenzwinkernd zu verarbeiten, indem sie den ganzen Irrsinn aus goldenen Versionen der Vitrinen oder Punkte- und Schmetterlingsbilder vor eine noch hysterischere Diamantentapete setzte.

Der Superstar der Young Britisch Art weiß, dass Lucian Freud recht hatte. Sein Finale kam zwanzig Jahre zu früh. Vielleicht ist zukünftig ein schlaues Team aus Kunststudenten für seine Ideen zuständig. Denn er hat schon lange keine mehr. Hirst ist ein Sammler, ein Produkte ausspuckender Konzern. Der unbezahlbare Diamanten-Totenschädel befindet sich übrigens in einem Extraraum und wird bewacht wie in einem schlechten Agentenfilm. Im Museumsshop gibt es die preislich günstigere limitierte Version des ewigen Schädels, zur Abwechslung mal aus bunt bemaltem Plastik. Für schlappe 36.800 Pfund.

Damien Hirst. Tate Modern, London. Bis 9. September