Wenn Buddha seinen Kopf verliert

LOKALKINO Das Festival „Achtung Berlin“ widmet sich Filmemachern aus Berlin und Brandenburg. Deren Vielfalt zeigt sich in der Themenwahl wie in den Formaten: Im Programm gibt es sogar eine eigene Sektion für den „mittellangen Film“

Nur ein Teil der Filme kreist inhaltlich um Berlin

Durch die Straßen laufen, das ist das Einzige, was noch geht. Die Kamera folgt Johanna, die Kamera folgt Georg, es ist Nacht, es ist Tag. Wir schauen über ihre Schultern auf die Straßen einer großen Stadt, nirgendwo bleibt der Blick hängen, alles zieht vorüber. Jeder sucht etwas, niemand findet. Da liegt Traurigkeit drin, aber auch ein bisschen Glück. Denn all diese Suchenden, Orientierungslosen sind aufgehoben in einem Meer von anderen Suchenden in „Another fucking ....“, einem halbstündigen Film von Katharina Marie Schubert.

Mehr Berlin geht kaum als in dieser Thirty-Something-Episode über Selbstfindung, Müßiggang, Trennungen und Neuanfänge. Johanna hat eine zerbrochene Beziehung hinter sich, Georg auch. Fast kämen die beiden zusammen, da stürzt ein Buddha vom Tisch und verliert den Kopf. Ein Missgeschick. Aber in der Angst, das Falsche zu sagen, sagen beide das Falsche und machen aus dem Streit um den Buddha schnell einen Schlagabtausch von Lebenshaltungen.

Johanna sieht dabei immer sehr sexy und bedürftig aus, sie ist witzig und spontan, Raucherin und Biertrinkerin. Georg, ordnungslieber Teetrinker, könnte sich selbst für jeden seiner rechthaberischen Sätze in den Hintern treten. Nützt alles nichts. Und selbst der philosophisch begabte Flaschensammler, der ständig die Wege der beiden kreuzt, kann ihnen nur Bier anbieten, keinen Trost.

„Another fucking...“ ist wie gemacht für ein Festival, das „Achtung Berlin“ heißt und die Vielfalt des Filmschaffens aus Berlin und Brandenburg auch gerade da vorstellen will, wo Vertrieb, Verkauf, Verleih oft noch ungeklärt sind. Denn ungewöhnlich ist schon die Produktion des Films: Katharina Marie Schubert, Schauspielerin am Deutschen Theater, hat den Film mit eigenem Geld produziert, geschrieben, Regie geführt und die Hauptrolle gespielt. Alle übrigen Rollen sind mit Schauspielern des Deutschen Theaters in Berlin besetzt, es ist wie ein Betriebsausflug des halben Ensembles.

Hans Löw, aus Schalk und Schüchternheit, Selbstermutigung und Verzagen zusammengesetzt, ist als Georg genauso, wie ihn seine Fans aus dem Theater lieben. Jörg Pose, der Seltsame, gibt seinem Flaschensammler eine beharrliche poetische Ader mit und einen guten Blick für die Verliebten. Die Kamera von Mark Dölling tut ein Übriges, um den Film in keinem Moment nach Low Budget aussehen zu lassen.

30 Minuten Länge, das ist ein Format, für das es nicht gerade viele Plätze gibt. Das Festival „Achtung Berlin“ aber hat neben Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen auch eine eigene Sektion für den „mittellangen Film“. Mit solchen Programmschienen öffnen Hajo Schäfer und Sebastian Brose, Leiter des Festivals, das zum achten Mal stattfindet, Künstlern eine Tür, die sonst aus bloßen Format-Konventionen wenig Chancen haben.

Nur ein Teil der Filme kreist inhaltlich um Berlin. In Stuttgart, da, wo die Träume vom Eigenheim in Reihenhäusern an Ausfallstraßen ihre etwas spröde Realisierung finden, hat Réka Kincses ihren Spielfilm „Heimat, Sex und andere Unzulänglichkeiten“ angesiedelt, den „Achtung Berlin“ in der Reihe Preview zeigt.

Réka Kincses, in Rumänien geboren und heute in Berlin ansässig, erzählt die Geschichte von Zsuzsi und Sándor, die aus Ungarn nach Stuttgart kamen, er Arzt, sie Arzthelferin. Wie sie um die verlorene Heimat trauert, ist für ihn langsam nicht mehr zu ertragen; ihre Leiden sind Phantomschmerzen in seinen Augen.

Die Regisseurin, die, bevor sie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin studierte, schon eine Ausbildung als Heilpraktikerin gemacht hatte, geht mit ihren Charakteren ein wenig therapeutisch um, umkreist sie vorsichtig und gewissermaßen auf psychologisch sensiblen Zehenspitzen.

Die Langsamkeit der Erzählung ist manchmal etwas anstrengend, ihr Werben um das Verständnis für die Verlustängste von Migranten hat manchmal etwas sehr Missionarisches. Aber der Film malt auch sehr glaubhaft eine Gefühlslage aus, in der jeder von deutschen Institutionen eingeforderte Schritt zur Integration den inneren Widerstand stärkt.

Wie eine Ergänzung zu Kincses Spielfilm liest sich die Ankündigung des Dokumentarfilms „Werden Sie Deutscher“ von Britt Beyer, die über ein halbes Jahr einen Integrationskurs, von dessen Bestehen die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis abhängen, an einer Berliner Volkshochschule begleitet hat.

Katrin Bettina Müller

■ www.achtungberlin.de, 18. – 25. April; in den Kinos Babylon Mitte, Filmtheater am Friedrichshain und Passage