Lenin, Fußball und Rumba

BABYLON In „The First Rasta“ erzählt Hélène Lee in einem eigenwilligen, eher essayhaften Stil die Geschichte des Begründers der Rastafari-Bewegung Percival Howell

Die Rastafari-Veteranen wechseln ständig zwischen Reminiszenzen, Prophezeiungen und Zitaten aus Reggae-Songs hin und her

VON WILFRIED HIPPEN

Haile Selassies soll nicht sehr angetan davon gewesen sein, dass einige Unruhestifter im fernen Jamaika ihn zu ihrer Göttlichkeit auserkoren hatten. Und auf die Idee, einen in Äthiopien absolut herrschenden Monarchen zu verehren, muss ein unter der britischen Kolonialknute lebender Nachkomme von Sklaven in der Karibik erst einmal kommen. In der sehr eigenwillig inszenierten Dokumentation „The First Rasta“ stellt die französische Journalistin Hélèle Lee nicht nur jenen Mann vor, der in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts die Rastafari-Bewegung gründete, sie macht auch deutlich, aus welchen verschiedenen Einflüssen dieses Glaubenssystem zusammengefügt wurde. Und sie tut dies in einem eher literarischen als journalistischen Stil. Inspiriert wurde Percival Howell 1917 als junger Seemann auf weiter Fahrt von „Lenin, Fußball und Rumba“. So die schöne, aber historisch wohl nicht belegte Formulierung von Lee, die mit Sätzen wie: „An der Reling der Logan lehnend, grübelt Howell: „Ist dies das Ende des internationalen Traums?“ manchmal ganz ins fiktive Nachempfinden übergeht.

Und dem Film tut es gut, dass sie keine Angst davor hat, zu fabulieren. Es gibt kaum Fotos oder schriftliche Belege für diese frühen Jahre von Howell, bekannt sind nur die Eckdaten wie seine Erfahrungen als Matrose eines Transportschiff der US Army in den arktischen Häfen von Russland, wo ihn die Idee der Revolution faszinierte.. Ein paar Einstellungen aus Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ sind in dies Bebilderung dieser Entwicklungsphase ebenso montiert worden wie Originalaufnahmen von der „Harlem Renaissance“, die Howell im New York der 20er Jahre miterlebt. Dieses ganz neue schwarze Selbstbewusstsein und die Begegnung mit seinem Landsmann Marcus Garvey, der als erster Haile Selassie als eine schwarze Alternative zu all den weißen Göttern ansah, formten Howell nachhaltig. Und der Film macht dies sehr informativ und anschaulich klar.

Ein Brahmane aus der indischstämmigen Bevölkerungsschicht von Jamaika macht deutlich, wie groß die Einflüsse der Hindu-Religion auf die Rastafaris sind. So haben Dreadlocks und das rituelle Rauchen von Ganja eindeutig indische Ursprünge.

In den 30er Jahren kam Howell zurück nach Jamaika, in den 40ern gründete er eine ländliche Kommune namens Pinnacle und über diese können einige Zeitzeugen noch im Film berichten. Diese Veteranen der Rastafari-Bewegung sind durchweg große Erzähler, Prediger und Sänger. Und sie wechseln ständig zwischen Reminiszenzen, Prophezeiungen über das zerstörerische „Babylon“ und Zitaten aus Reggae-Songs hin und her. Durch sie wird dies auch ein bunter, wilder, sehr musikalischer Film.

Howells Kommune wurde von Soldaten überfallen und niedergebrannt, er wurde ständig verfolgt, immer wieder in psychiatrische Kliniken eingewiesen, versteckte sich müde geworden in einer Hölle tief in den Wäldern und wurde fast völlig vergessen, während Bob Marley 1967 Howells Kriegsnamen „The Gong“ übernahm und zur Identifikationsfigur der Rastafaris wurde.

Mitte Mai kommt die Dokumentation „Marley“ in die deutschen Kinos und „The First Rasta“ ist dafür ein ideales Gegenstück. Bei Hélène Lee ertönt kein einziger Takt von Marleys Musik. Eine interessante Auslassung, auch wenn unklar bleibt, ob es dafür finanzielle (Musik von Stars ist teuer) oder künstlerische Gründe gibt. Dafür spielen und singen direkt vor der Kamera heutige Reggaemusiker wie Max Romeo, die Count Ossie Drummers, The Abyssinians und besonders beeindruckend die völlig abgehoben wirkende Audrey Whyte Lewis, die zwar von Obamas Politik enttäuscht ist, aber dennoch prophetisch verkündet„now is black man time“.