Einmal durch Europa laufen

EXTREMSPORT In dem Dokumentarfilm „I want to run“ erzählt Achim Michael Hasenberg vom längsten und härtesten Rennen der Welt. Der Langstreckenlauf wird hier zum Zuschauersport

VON WILFRIED HIPPEN

So lange wie sie läuft sonst kein Mensch – aber kaum jemand sieht ihnen dabei zu! Anders als bei der Tour de France, dem Ironman-Triathlon oder einem der unzähligen Marathonrennen gibt es beim Trans-Europalauf keine Live-Übertragungen, keine anfeuernden Zuschauermassen an den Straßenrändern und keine finanzkräftigen Sponsoren. Diese Sportveranstaltung findet weitgehend unter Ausschuss der Öffentlichkeit statt und statt die Straßen während der Zeit des Rennens für den normalen Verkehr abzusperren, droht die Polizei in Deutschland, das Rennen gleich ganz zu verbieten, wenn die Läufer die Autos am zügigen Fahren hindern. Dabei ist dies eine Veranstaltung voller Superlativen. Für Extremläufer gibt es keine größere Herausforderung: Von Bari in Süditalien bis zum Nordkap werden 4.500 Kilometer in 64 Etappen gelaufen. Die Etappen sind durchschnittlich 70 Kilometer lang und es gibt keinen einzigen Ruhetag. Im Jahr 2009 nahmen 53 Männer und 12 Frauen aus elf Nationen an dem Rennen teil. Diese waren fast ausschließlich Amateure, und weil es dabei in erster Linie nicht um Schnelligkeit, sondern um Ausdauer geht, haben hier die älteren Sportler bessere Chancen als die jungen, die noch nicht gelernt haben, mit ihren Kräften hauszuhalten.

Es gibt auch keine spannenden Überholmanöver, keine Sprints auf den letzten Metern und keine strahlenden Tagessieger. Dies ist also keine coole, geschweige denn fotogene Sportdisziplin, denn Ausdauer kann man nicht so gut fotografieren wie Schnelligkeit, Balltechnik oder Sprungkraft. Dieses Manko war auch eine Herausforderung für den Regisseur Achim Michael Hasenberg.

Im mäßigem Tempo durch wechselnde Landschaften laufende Menschen mag man sich nur bedingt lange auf einer Leinwand ansehen, und so war Hasenberg klug beraten, wenn er immer wieder vom Rennen selber zu einzelnen Protagonisten schnitt. Denn die wirklich interessante Frage ist natürlich, warum sich Menschen diese Qual antun. Bei zwei der sieben Extremläufer, die Hasenberg mit der Kamera begleitete und befragte, war die Antwort darauf überraschend simpel: die beiden schwedischen Offiziere Andreas Falk und Mattias Bramstang hatten den Befehl dazu. Die Armee sah das Rennen als ein Experiment an und wollte ihrer Erfahrungen als Team in einer lang andauernden Extremsituation nutzten.

Die schillerndste Figur des Films ist Achim Heukemes, ein ehemaliger Trucker, der im Alter von 57 Jahren als einer der wenigen Profis am Rennen teilnahm. Als eine Art von laufendem Globetrotter hat er schon bei ähnlichen Wettbewerben fast alle Kontinente durchlaufen und für ihn scheint dies eine erfüllende, wenn auch nicht allzu lukrative Karriere zu sein.

Ein lupenreiner Amateur ist dagegen der Augenoptikermeister Robert Wimmer, der das Laufen so gut in sein Alltagsleben integriert hat, dass er neben Geschäft und Familie regelmäßig an einem Wettbewerb teilnehmen kann. Er gewann im Jahr 2003 den Europalauf und wurde 2009 Vierter. Während man bei ihm und der Ingenieurin Elke Streicher, die im Rennen den zweiten Platz bei den Damen belegte, deutlich spüren kann wie sehr der sportliche Ehrgeiz sie antreibt, ist die Motivation von Joachim Hauser komplexer. Er leidet seit 15 Jahren an Multipler Sklerose und versteht das Laufen als ein Mittel, um gegen den Muskelschwund anzukämpfen. Teile der Strecke konnte er nur hinkend bewältigen, und gerade deshalb schien sein Erreichen der Ziellinie der größte Sieg zu sein. Aber für die bewegendsten Momente des Films sorgte die japanische Hausfrau Hiroko Okiyama, die mit einer anrührend reinen Leidenschaft das Rennen anging und der man die Mühen der langen Strecke am deutlichsten ansieht.