ZWISCHEN DEN RILLEN
: Glasklar und voller Sehnsüchte

Josephine Foster & the Victor Herrera Band: „Perlas“ (Fire Records/Cargo)

Josephine Foster eignet sich den Ton der Volkslieder an, wischt die Patina nicht weg

Die ästhetische Erziehung eines Menschenkindes ist verschlungen und unvorhersehbar. Das Tönen und Raunen der Welt kann in die abgelegensten Winkel des Erdenballs und der Seele vordringen und Keime setzen, die später in die wunderlichsten Richtungen sprießen. Bei Josephine Foster, im US-Bundesstaat Colorado gebürtig, muss es in dieser Hinsicht besonders wild und geräuschvoll zugegangen sein.

Opernsängerin wäre sie gerne geworden, was man Foster immer ein wenig anhört. Auf halbem Weg dorthin trällerte sie bei Beerdigungen und Hochzeiten, verdingte sich als Gesangslehrerin in Chicago, spielte in diversen Bands, besann sich schließlich auf ihr Talent als Songschreiberin. So entstanden Alben, die tatsächlich von ihrer wunderschönen und sich ans jeweilige Genre anschmiegenden Stimme zusammengehalten werden, von sonst aber nicht viel mehr.

Folk, Country, psychedelischer Rock, Vaudeville, vertonte Emily-Dickinson-Gedichte, deutsches Kunstlied – das war bislang die Spannbreite. Vor zwei Jahren veröffentlichte sie mit dem spanischen Gitarristen Victor Herrera das Album „Anda Jaleo“, das Stücke aus Federico García Lorcas Liedersammlung enthielt. Nun haben sich die beiden Musiker alter spanischer Volkslieder angenommen, die aus diversen Regionen stammen.

Herausgekommen ist „Perlas“, ein Album von fast schon anachronistischer Schönheit. Beim ersten Hören ließe sich nicht recht sagen, ob es in den fünfziger Jahren entstanden ist oder doch gerade eben erst. Fosters Stimme, glasklar und voller Sentiment, jede Höhe grazil meisternd, scheint aus einem ganz anderen Jahrhundert oder aus dem Schellack-Zeitalter zu uns herüberzuschallen.

Es ist nicht weniger als herzergreifend, wenn sie in diesen pathetischen Songs von schmerzvoller, nie vergehender Liebe singt oder von rastlosen Pilgern oder Monden, die von Perlschnüren umgarnt werden. Man muss die spanischen Texte nicht mal übersetzen, um ihre Schwermut zu spüren.

Auf ihrem Album „A Wolf in Sheep’s Clothes“ hatte Foster Stücke von Schumann, Brahms und Schubert interpretiert, deutsche Kunstlieder der Romantik. Sie hat ihnen neue Arrangements mit einer akustischen und einer schneidenden E-Gitarre gegönnt, eine grandiose Verfremdung, die das Wesen der Lieder eher noch herausstellte.

Die Annäherung an die spanischen Volkslieder unterscheidet sich davon grundlegend: Dem Kunstlied hat sie etwas hinzugefügt, in die traditionellen spanischen Lieder schlüpft sie hinein. Sie eignet sich den Ton an, den Gestus, wischt die Patina nicht weg; sie vergegenwärtigt, indem sie die Tradition betont. Das hat vielleicht damit zu tun, dass Foster sich zusammen mit Victor Herrera und seiner Band in Andalusien mitten hinein begeben hat in dieses musikalische Milieu, dass räumliche und vielleicht auch zeitliche Distanz aufgehoben oder überwunden wurde. Das heißt allerdings nicht, dass Foster nur als Historikerin auf das Material zugreift. Wer genau hinhört, kann durchaus andere Facetten in dieser Musik erkennen, auch Elemente amerikanischer Folkmusik (was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass diese ein Amalgam verschiedener Überlieferungen darstellt).

„Perlas“ ist kein Album für laue Sommerabende, das einen in Urlaubsstimmung bringen könnte. Dafür ist das Album zu aufwühlend, zu vielschichtig, zu angreifend. Aber verloren gehen an fremdem Ort und in vergangener Zeit kann man damit schon. ULRICH RÜDENAUER