Nachruf auf Kaneto Shindô: Die Gelassenheit des Alters

Seine Filme waren berührend, unsentimental und komisch. Der große japanische Regisseur Kaneto Shindô ist im Alter von 100 Jahren gestorben.

Ein langes Leben und 49 Filme: Kaneto Shindô. Bild: dpa

Kaneto Shindô war einer der großen Regisseure Japans, auch wenn er weniger bekannt ist als seine Vorgänger Ozu, Kurosawa und Mizoguchi. Bei Letzterem begann seine Laufbahn als Assistent und Drehbuchautor und über ihn drehte er nach dessen Tod einen Dokumentarfilm.

Wie bei Mizoguchi beeindrucken die Filme von Kaneto Shindô durch starke Frauenfiguren, die sich durch Kraft, Arbeit, Durchhaltevermögen und emotionale Klugheit auszeichnen, auch wenn sie vordergründig ihren traditionellen Rollen verhaftet bleiben.

Shindô war überzeugt davon, dass die japanischen Frauen nach dem Krieg den japanischen Männern emotional und moralisch überlegen waren. Aus Hiroshima stammend, hat Shindô mehrere Filme über die Stadt und die Folgen der Atombombe gedreht. In einem der ersten, „Die Kinder von Hiroshima“ (1952), mit dem er 1953 in Cannes international bekannt wurde, erzählt er auf berührende Weise von vier Kindern, deren Leben durch die Atombombe zerstört wurde.

Ohne ein gesprochenes Wort

Der eindruckvollste von Shindôs Filmen ist wohl „Die nackte Insel“ (1960), ein Tonfilm, der ohne ein einziges gesprochenes Wort das mühsame Leben einer japanischen Bauernfamilie auf einer kargen Insel schildert. Schwarz-weiß, stumm und existenzialistisch wurde dieser von Shindô selbst finanzierte Film ein internationaler Erfolg. Ähnlich archaisch ist auch der berühmte Schwarz-Weiß-Film „Onibaba – Die Töterinnen“ (1964), der im 14. Jahrhundert spielt und zwei Frauen zeigt, die in einer einsamen Schilf-Gegend überleben, indem sie erbarmungslos aus dem Krieg heimkehrende Samurais töten und ihre Rüstungen einem Hehler verkaufen.

Als die jüngere der beiden eine sexuelle Beziehung mit einem wilden Nachbarn beginnt, zerbricht die Notgemeinschaft der beiden Frauen. Der Film ist gewissermaßen Shindôs erster Horrorfilm und besticht durch lange Einstellungen von wogendem Schilf und durch die ästhetische Darstellung von Sexualität. Viele der folgenden Filme handeln von Sexualität und Erotik, doch keiner reicht mehr an die puristische Ästhetik seiner frühen Werke heran.

Erzählen ohne einheitlichen Stil

Shindô hat sich in seinen 49 Filmen nie auf einen einheitlichen Stil fixiert. In seinen späten Filmen ist es, als habe er die Gelassenheit gefunden, einfach nur noch zu erzählen, ohne sich den Erwartungen der Filmwelt oder des Publikums zu beugen. So verwebt der Film „Das Testament am Nachmittag“ (1995) die abstruse Geschichte alternder Schauspielfreunde mit dem Überfall eines gesuchten Bankräubers und erzählt auf berührende und zugleich unsentimental komische Weise die Geschichte alter Menschen. Es war der letzte Film mit seiner langjährigen Lebensgefährtin und dritten Ehefrau Nobuko Otowa, die in fast allen seinen Filmen die Hauptrolle spielte.

Shindô ist nicht an der Hürde des Alters gescheitert, sondern hat mit einer vielleicht nur dem Alter eigenen Leichtigkeit weiter Filme gemacht. Seinen letzten, „Die Postkarte“, drehte er mit 99 Jahren. Am Dienstag ist Kaneto Shindô einen Monat nach seinem 100. Geburtstag gestorben.

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