IM URBANKRANKENHAUS
: Amir war’s nicht

Die Bettnachbarin ist 18, ihre Mutter ist 36, sieht aber wie 56 aus

Die Deutschen sterben aus. Kaum habe ich den Nachrichten-Evergreen in einer Zeitung gelesen, muss ich mich auch schon ins Urbankrankenhaus begeben, um einen neuen und noch ganz frischen Deutschen zu besuchen. Die Mutter ist ganz fertig, aber nicht von Rudie, wie der Wurm nach „Rudie can’t fail“ von den Clash heißt, sondern von der Bettnachbarin.

Die Bettnachbarin ist 18, ihre Mutter ist 36, „sieht aber wie 56 aus“, wie mir die Mutter von Rudie zuflüstert. Ich halte mich als objektiver Beobachter aus solchen Debatten selbstverständlich raus, aber ich neige dazu, ihr recht zu geben. Wenn diese Familie in diesem Zeittakt weiter macht, denke ich, könnte die Mutter sogar Urururomma werden, aber dann würde sie mit 90 wie 110 aussehen, und das kann ich mir nicht vorstellen.

Die Omma sagt: „Und weeßte schon, wer’s war? War’s der Amir?“ Die Mutter sagt: „Nee, ick gloobe, der Amir war’s nicht, aber ick bin mir nicht sicher, wa.“ Die Omma wieder: „Na, is ja ejal. Hauptsache die Kleene is da, wa.“ Im bürgerlichen Haushalt wird man einen solchen Dialog eher selten hören, denke ich.

Zu Hause ruft mich Frau Müller an, die im 3. Stock wohnt. Sie ist sehr umfangreich. „Sind Sie zu Hause? Ick bringe Ihn’ ein Stück Kuchen vorbei“, sagt sie. Es ist immer Bienenstich und er macht mir ein schlechtes Gewissen, denn ich bringe es nicht über mich, ihn zu essen. Er sieht nicht ganz so aus, wie ein Bienenstich aussehen sollte, zu viel Teig, ohne Geschmack. Eingewickelt in Aluminium bekomme ich das Paket an der Tür überreicht, zusammen mit einem Werbeblättchen von Real. Für einen sogenannten „Knallerpreis“ von 2,99 kriegt man einen „Frischen Rollbraten“ und spart dabei noch 3,00 Euro. „Da findense immer wat. Wenn Ihre Frau auch mal backen will, ick kann ihr das Rezept von dem Bienenstich jeben“, sagt sie und watschelt davon.

KLAUS BITTERMANN