Bulgarien oder wo auch immer

ERZÄHLUNGEN Miroslav Penkov, großes Nachwuchstalent der US-amerikanischen Literaturszene, schreibt Short Storys über das Leben zwischen den Welten

Dreißig Jahre alt ist Miroslav Penkov jetzt. Mit achtzehn ging der gebürtige Bulgare zum Studium in die USA. Mit achtundzwanzig hatte er sein erstes Buch fertig, dieses nämlich, eine wunderbar geglückte Sammlung von Erzählungen über das Bulgarischsein oder -nichtsein und das Leben. Es erscheint in zwölf Ländern, darunter auch in Bulgarien. Der Autor selbst hat es in seine Muttersprache übersetzt. Wenn man ihn jemals träfe, würde man ihn wahrscheinlich als Erstes fragen wollen, ob er sich eigentlich vorher überlegt hat, wenigstens kurz, in welcher Sprache er eigentlich schreiben sollte. Oder ob Englisch, die Sprache, in der er nun einmal Creative Writing studiert hat, unabdingbar auch die sein muss, in der er sich literarisch ausdrückt.

Möglicherweise ist Letzteres der Fall. Es muss beneidenswert großartig sein, eine Zweitsprache zum literarischen Gebrauch zur Verfügung zu haben, die eben nicht mit der Muttersprache identisch ist, die man jedoch ebenso perfekt beherrscht. Vielleicht sogar noch besser; auf jeden Fall macht man sich die Strukturen einer Sprache, die man als fremde erlernt (Penkov hat allerdings schon als Kind in Sofia eine englischsprachige Schule besucht), ja wesentlich deutlicher bewusst.

In der prägnanten sprachlichen Reduziertheit, der absoluten Sicherheit darin, die richtigen Bilder zu finden, der pointierten Zuspitzung narrativer Verläufe sind es Musterbeispiele gelungener Short Storys, die Miroslav Penkov schreibt. In seiner Gesamtheit schafft dieser Band etwas, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Es gibt darin Erzählungen, die Jahrzehnte in die bulgarische Geschichte zurückgehen, dann wieder solche, die das Thema der existenziellen Fremdheit des Menschen zwischen den Kulturen aufgreifen, und jene, die die eine Welt mit der anderen in direkten Kontrast setzen. Dazwischen entstehen Querverbindungen; es entfaltet sich beim Lesen ein Panorama aus Worten, das Zeiten und Welten in einem schillernd weiten Bogen verbindet.

Zu diesem Schillern trägt auch bei, dass die einzelnen Texte in Charakter und Wirkung sehr unterschiedlich sind. Die Erzählung „Wenn Giraffen fliegen“ etwa ist regelrecht humoristisch angelegt. Ein kommunistischer Großvater und sein in die USA ausgewanderter Enkel telefonieren regelmäßig miteinander. Der Enkel und Ich-Erzähler, der für den Großvater, der kommunistische Kunstwerke sammelt, auf eBay Lenins Leiche kaufen wird, gibt diese Telefongespräche mit einem guten Schuss selbstkritischer Ironie wieder, die ein so tiefsitzendes wie hartnäckig verleugnetes Heimweh jedoch nur ziemlich schlecht verdeckt. Diese mal mehr, mal weniger deutlich sichtbare Doppelbödigkeit der Gefühle findet sich in fast allen Texten; am drastischsten gestaltet in der Erzählung „Ein Bild mit Yuki“, die sich inhaltlich als klassisches Melodram gibt.

Ein junger Exilbulgare besucht darin zusammen mit seiner japanischstämmigen Frau, die schon lange vergeblich versucht, schwanger zu werden, sein altes Heimatdorf. Eine kleine Unachtsamkeit beim Autofahren führt zu einem großen Drama. Fragen von Schuld und Verantwortung und der durch das tragische Ereignis schmerzhaft fühlbar gemachte Clash der Kulturen verdichten sich zu einem für die Protagonisten unlösbaren Knoten unaussprechlicher Emotionen. Penkov beweist mit diesem Buch, dass eine Sammlung von Geschichten mitunter ein differenzierteres Bild der Welt wiedergeben kann, als es ein Roman von demselben Umfang vielleicht getan hätte.

Aber sollte er sich eines Tages entscheiden, einen Roman zu schreiben, so würde man ihn definitiv auch lesen wollen. Er mag von Bulgarien handeln oder wovon auch immer.

KATHARINA GRANZIN

Miroslav Penkov: „Wenn Giraffen

fliegen“. Aus dem amerikanischen Englisch von Wolfgang Müller.

Blessing Verlag, München 2012, 316 S., 19,95 Euro