Retel Helmrich auf DVD: Kampffisch in der Bratpfanne

Die Dokumenatrtrilogie, die Leonard Retel Helmrich in Indonesien filmte, ist jetzt auf DVD erhältlich. Ihre rauschhaften Bilder ergeifen und erschüttern.

Leonard Retel Helmrich und seine Schwester, die Produzentin Hetty Naaijkens-Retel Helmrich, beim Sundance-Festival 2011. Bild: dpa

Die Kamera folgt der Kobra im Gras und blickt ihr ins Auge: Fast steht einem das Herz still, wenn die Schlange sich in Bissweite zur Kamera aufbäumt und faucht.

Ein Mann bewegt sich mit großer Trittsicherheit auf einer Eisenbahnbrücke himmelhoch über dem Abgrund, von hinten, von oben und von der Seite filmt ihn Leonard Retel Helmrich dabei: Wer nicht schwindelfrei ist, schließt hier besser die Augen.

Geckos und riesige Ratten, Ameisen, Kampffische und -hähne, räudige Katzen, eine Libelle, ausgeräucherte Schaben, sich paarende Gottesanbeter, Gänse im Sack und ein Gänsetrupp unterwegs: der Tierwelt in Jakarta und auf dem Land ist der Film auf der Spur, dicht am Boden und hoch in der Luft, ein Wunder der Sehlust, Blicke, die uns den Traum vom Fliegen erfüllen, Außenbeobachtungen einer Welt, die erst einmal fremd ist.

Im Zentrum stehen aber die Menschen, und sie sind einem schnell vertraut. Eine Familie in Indonesien, sie lebt in einem Slum in Jakarta: Die Großmutter Rumijah stammt vom Dorf, in das sie zurückkehrt, weil sie es liebt, und aus dem sie dann wieder in die Stadt zurückwill, weil dort die Familie lebt.

Zur Familie gehören zwei Söhne, der Busfahrer Dwi, nach einem Unfall verkrüppelt, und der Tunichtgut Bakti, der sich mit Kampffischen mehr schlecht als recht über Wasser hält und seiner Frau kein guter Mann ist, weshalb die im Zorn die Kampffische brät. Als Waise, von Onkel und Großmutter betreut, lebt Tari, die anders als ihre Onkel die Schule nicht abbricht.

„Wir haben im Leben versagt“, meint die Großmutter, „nutz du deine Chance.“ Sie verpfändet fürs College das Haus, in dem ihr Erspartes steckt. Tari hat am Ende Computer und Kamerahandy, zur Feier des Highschool-Abschlusses rast sie auf dem Motorrad eines Freundes durch die Stadt, wir rasen mit.

Das Leben dieser Familie, das Leben der Tierwelt filmt Leonard Retel Helmrich in seiner von 1998 bis 2010 entstandenen Dokumentartrilogie, aber auch von den Veränderungen im Inselstaat Indonesien, einem der bevölkerungsreichsten Länder der Erde, bekommt man einiges mit. Zu Beginn von „The Eye of the Day“ (2001) erlebt man Proteste gegen den Diktator Suharto, der im selben Jahr zurücktritt.

Unübersehbar sind in „Shape of the Moon“ (2004) das Vordringen des Islamismus nach 9/11, Demonstrationen muslimischer Aktivisten auf den Straßen, Poster von Osama Bin Laden, der Ausbau der Moschee, die am Rande des Slums allerdings mit einer prächtigen Kirche konkurriert. Auch die Familie selbst ist betroffen, denn Rumijah ist Christin und wird mehr und mehr zur Außenseiterin, zumal auch ihr Sohn Bakti zum Islam konvertiert, um eine Muslimin heiraten zu können.

„Single-shot cinema“ nennt Retel Helmrich das Konzept seines dokumentarischen Kinos. Das Herz seiner Filme ist die möglichst ununterbrochene Einstellung, ist das Dabeisein von Kamera und Regisseur/Kameramann, deren Anwesenheit im fertigen Film aber niemals thematisiert werden – das unterscheidet das Projekt von Emmenuelle Demoris’ in vielen anderen Aspekten ähnlich gelagerter Langzeitbeobachtung eines Slums im ägyptischen Alexandria mit dem Titel „Mafrouza“.

„Single-shot cinema“ ist ein Kino, in dem sich ein nüchtern-dokumentarischer und ein eigentümlich berauschender Blick verbinden. Die Abstiege und Aufwärtsflüge der Kamera, ihr Pirschen und Nachstellen, ihr Mittendrin- und Hautnah-dabei-Sein, ihre scheinbare Schwerelosigkeit und schier unmöglichen Positionen verdanken sich Retel Helmrichs eigenhändig gebastelten Konstruktionen.

Dass daraus aber etwas wird, was einen ergreift und erschüttert, was einen beim Himmelhochjauchzen etwa eines riesigen Karussells auf dem Jahrmarkt umstandslos mitjauchzen lässt; dass aus dem Dabeisein also ein einzigartiges ästhetisches Erlebnis wird, das hat wenig mit Technik und viel mit der Kunst zu tun, mit der der Regisseur diese zu nutzen versteht.

Es entsteht so ein Kino auf der Suche nach dem Zauber der Dinge, das aber das Elend der Welt nicht leugnet. Vieles daran ist so erstaunlich, dass auch dem Kritiker, der schon manches gesehen hat, immer wieder der Mund offen steht.

Leonard Retel Helmrich: „The Eye of the Day“ (2001), „Shape of the Moon“ (04), „Position Among the Stars“ (2010). Dogwoof, 14 £

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