Werft die Discokugel an

TANZMUSIK Sie tragen Koteletten, Bärte und elegante Anzüge. Sie spielen Disco und singen auf Deutsch: Freddy Fischer and his Cosmic Rocktime Band

Ähnliche Sorgfalt wie auf ihre äußere Erscheinung verwendet die Band auf das analoge Klangbild

VON THOMAS WINKLER

Das kann man verraten: Freddy Fischer, der im echten Leben nicht Freddy heißt, läuft im echten Leben auch nicht als Freddy Fischer herum. An einem drückend schwülen Nachmittag in einem Café in Mitte trägt auch Freddy Fischer bloß Bluejeans und ein kurzärmeliges schwarzes Hemd. Nur die Koteletten verweisen darauf, dass der Mann noch ein zweites Leben führt, eines auf der Bühne als Sänger, Keyboarder, Bandleader und, wie er es selbst sagt, „Kunstfigur“.

Diese Kunstfigur trägt gern Smoking, ein rotes Häkelblümchen im Knopfloch und eine gewaltige Hornbrille auf der Nase. Zusammen mit seiner Cosmic Rocktime Band, die aus dem Gitarristen Rex Rocktime, dem Bassisten Ron Rocktime und einem bislang immer mal wechselnden Schlagzeuger besteht, spielt er Musik wie aus der goldenen Ära des Discosounds, aber mit deutschen Texten. Wenn jemand seine Band eine Tanzkapelle nennt, dann ist ihm das nicht Schimpfwort, sondern Auszeichnung. Seine Musik soll die Menschen glücklich machen. Und das geht am einfachsten, wenn sie tanzen. „Denn wenn man verhärtet ist, wenn das Herz gebrochen ist, wenn man denkt, man kann nicht mehr weiter“, erklärt Fischer, „dann soll man die Discokugel anwerfen, die Hüften kreisen lassen und sich weich machen und weit.“

Tatsächlich sind Freddy Fischer and his Cosmic Rocktime Band in der Lage, noch im miesesten Kellerloch ein Lächeln ins Gesicht verbitterter Zuhörer zu zaubern. Die Band hat es bereits zu einer gewissen Bekanntheit gebracht, und das nicht nur in ihrer Heimatstadt Berlin. Anlässlich des neuen, dritten Albums „Dreimal um die Sonne“ hat nun nicht nur Fischer das Gefühl, dass aus dem Kult mehr werden könnte. Noch nie waren die Rhythmen so geschmeidig, noch nie die Funkgitarre so überzeugend von Nile Rodgers abgeschaut, noch nie die Orgel so jubilierend. Und noch nie sang Fischer so selbstverständlich und doch mit so viel Seele in der Stimme zwischen Metaphysik und Tautologie oszillierende Wahrheiten wie „Du bist meine Liebe, und ich lieb’ dich so“. Das erinnert bisweilen sogar an Manfred Krugs Swing-Chansons, die der Schauspieler mit der Big Band von Günther Fischer, der weder verwandt noch verschwägert ist mit Freddy Fischer, in den siebziger Jahren aufgenommen hat. Krug hat damals vielleicht zum ersten Mal so selbstverständlich Tanzmusik mit deutschen Texten versehen, die, wie Freddy Fischer es nennt, „unpeinlich-peinlich“ sind.

Dass angesichts dessen, was Fischer „die Naivität der Texte“ nennt, mancher Vergleich zum deutschen Schlager zu ziehen versucht, das kann er verstehen. Aber Fischer schlawinert sich sehr geschickt zwischen vielen anderen, fast noch gefährlicheren Untiefen hindurch. Er will keinen Klamauk produzieren wie ein Guildo Horn, aber erst recht keine Retro-Comedy wie ein Dieter Thomas Kuhn. Er will der Musik den größtmöglichen Respekt entgegenbringen, aber sich selbst und die Cosmic Rocktime Band dann doch nicht allzu ernst nehmen. „Aber das Wichtige ist“, sagt Fischer, „dass das Leben in den Liedern so sein darf, wie es ist. Wir blenden nichts aus, denn letztendlich geht es immer um das Leben und um die Liebe – und natürlich um den Schmerz.“ Auch das klingt wie das Statement eines Schlagersängers. Und tatsächlich singt Fischer von Liebe und Sehnsucht, von Tränen und Glück, sogar vom Duft des Flieders. Aber in seinen Texten verwandeln sich selbst abgenutzte Klischees plötzlich wieder zu Wahrheiten, weil er an anderer Stelle in der Lage ist, noch ein ironisches Sicherheitsnetz einzuziehen. Manchmal mit ganz einfachen Tricks, etwa wenn er einen Song „Schalala“ nennt, öfter aber, indem er eben nicht einfach nur stumpfes Glück besingt, sondern die tatsächlich existenziellen Fragen stellt: „Gibt’s ein Gestern und ein Morgen? Was ist Ewigkeit?“ Fischer weiß: „Das ist eine Gratwanderung“.

Zu dieser Gratwanderung gehört es auch, dass die Kunstfigur Freddy Fischer mit großer Liebe zum Detail gestaltet wird. Das beginnt mit den schicken Anzügen, die im Kontrast zu den meist eher abgerockten Clubs stehen, in denen die Band gewöhnlich spielt. „Wir wollen so einen Auftritt zelebrieren“, sagt Fischer, „wir feiern, also ziehen wir uns schön an.“ Die Band wird von einem Herrenausstatter eingekleidet, denn ohne den Sponsor wäre so viel Stilsicherheit ein momentan gar nicht refinanzierbares Vergnügen.

Ähnliche Sorgfalt wie auf ihre äußere Erscheinung verwendet die Band auf das streng analoge Klangbild. Fischer legt allerdings Wert darauf, dass er nicht aus ideologischen Gründen ein Fender-Rhodes-Piano spielt, sondern „einfach aus Freude an diesem Klang. Wir wollen kein Museum sein.“

Zeitgemäß klingt anders. Aber es stimmt schon: Die Vergangenheit wird hier nicht nachgestellt, sondern sie wird Teil des Spiels. Zu dem auch gehört, dass Fischer seinen echten Vornamen ebenso verheimlicht wie die wahren Identitäten seiner Mitspieler Ron und Rex, die zwar keine Koteletten wie ihr Chef tragen, aber dafür monströse Bärte. Mehr, als dass Fischer 44 Jahre alt ist und früher Tanzmusik von Rumba bis Foxtrott bei Betriebsfeiern und auf Hochzeiten gespielt hat, soll nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Die Kunstfigur soll sich ungestört entfalten dürfen. Freddy Fischer and his Cosmic Rocktime Band, das ist, so viel verrät der Erfinder dann doch noch, „in gewisser Weise ein Konzept. Aber dieses Konzept wird nicht über den Kopf gesteuert, sonst würde es schnell kalt und berechnend, dieses Konzept kommt aus dem Herzen.“

■ Freddy Fischer and his Cosmic Rocktime Band: „Dreimal um die Sonne“ (Sounds of Subterrania/Rough Trade)