DAS GRAUEN
: Draußen am See

Früher war es hier bestimmt mal ganz schön

Manchmal ist das Grauen ganz nah. Mit der S 3 waren wir rausgefahren Richtung Osten, bis es nicht mehr weitergeht, hatten uns ein Bötchen gemietet und waren losgepaddelt. Eigentlich war alles ganz schön.

Das Kind entdeckte einen Badestrand. Dort hatten ein paar andere Kinder offenbar eine ganze Menge mehr Spaß als es selbst. Keine Minute länger wollte das mittlerweile von Fischen, Vögeln und winkenden Rentnern auf den Sonnendecks ihrer Yachten angeödete Kind mehr im Bötchen verweilen. Der Badestrand entpuppte sich als Zeltplatz, auf dem wir gleich blieben.

Am nächsten Tag konnte man nicht baden, ein Gewitter war heraufgezogen. Also schauten wir uns etwas genauer an, wo wir gestrandet waren. Gleich hinter dem Maschendrahtzaun fanden wir nicht nur die Dauercamper. Auferstanden in Ruinen sozusagen lagen dort windschiefe Wellpappehütten verstreut im Kiefernwald, zwei lange Reihen Plumpskloverschläge (daher also der rätselhafte Jauchegeruch abends im Zelt).

Die dreiarmigen DDR-Straßenlaternen und grün bemoosten Lautsprecher hatte noch niemand abmontiert. Vor dem schwarz dräuenden Himmel schlurfte ein Alter in Bademantel und mit Rollator am eingestürzten Dach über der verlassenen Tischtennisplatte vorbei. „Früher war es hier bestimmt mal ganz schön“, meinte mein Mann unsicher.

Am nächsten Morgen schaut uns einer der Dauercamper dabei zu, wie wir unser Kajak beladen: „Da hinten“, sagt der Mann plötzlich und deutet auf das Schilf neben dem hübschen Badestrand, „da haben wir mal ’ne Kinderleiche rausgezogen.“ Wir gucken ihn entsetzt an. „Hatten zu viel gesoffen und dann sind wir mit den Kindern raus auf den See. War dunkel und windig, wir sind gekentert.“ Immer wieder wackelt er mit dem Kopf. Wir flüchten über den See.ANNA KLÖPPER