Lübecks anderer Fußball

ÜBER LINKS Der Fußballverein Roter Stern Lübeck hat einen erstaunlichen Aufstieg hinter sich. Aber die egalitären Kicker werden immer wieder zur Zielscheibe von Hooligan-Angriffen aus der Fanszene des VfB Lübeck

Der VfB Lübeck, finden sie beim Roten Stern, soll sich von randalierenden Nazis distanzieren

VON ROGER REPPLINGER

Eine Stadt, die Besucher und Bewohner zwischen Bismarck und Wilhelm I. zu Pferde – beide Furcht einflößend groß – durch schickt, bevor sie in die Altstadt, zum Holstentor, oder sonst wohin dürfen, brauchte dringend einen Roten Stern.

Dass sie einen hat, liegt an Millo Dohmen. Der Erste Vorsitzende und Mitgründer des Fußballvereins Roter Stern Lübeck steigt aus seinem Auto, aus dem erstaunlich laute Rockmusik dringt. Er trägt die Koteletten englisch, also zu den Wangen hin breiter werdend. Er ist 44, Altenpfleger. Dohmen wollte einen Sportverein wie den auf St. Pauli, ohne nach Hamburg fahren zu müssen. Es gab ihn nicht, und so gründete er den Roten Stern, mit ein paar Kumpels zusammen, ziemlich genau vor vier Jahren. Damals hatte der Rote Stern 80 Mitglieder, inzwischen sind es 120. „Die FDP in Lübeck hat weniger“, sagt Dohmen und grinst.

Es gibt Rote Sterne unter anderem in Leipzig, in Halle, in Nordost-Berlin, in Flensburg – und den FSV Roter Stern Kickers 05 – Ahrensburg. Es gibt ein Netzwerk der Roten Sterne. Veranstaltet ein Roter Stern ein Turnier gegen Rassismus, Homophobie, oder für die „Rote Hilfe“, kommen – wenn es irgendwie geht – die anderen Sterne und kicken mit.

Die Roten Sterne sehen sich in der Tradition der Arbeitersportbewegung. Arbeiter gründeten am Ende des 19. Jahrhunderts Sportvereine, weil sie nicht von den bürgerlichen Turnvereinen aufgenommen wurden, und wenn doch, gingen ihnen Sedanfeiern, Monarchismus, Militarismus, das Provinzielle und der Chauvinismus der Turner auf den Senkel. Mal ganz abgesehen von den Sportarten.

Im Stadion Buniamshof, wo Roter Stern Lübeck trainiert, kann man noch eine Ahnung von jener Zeit bekommen: Turner erinnern dort mit einem gewaltigen Gedenkstein mit zwei Adlern an ihre Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Am 26. Mai 1933 um 20.30 Uhr fanden im Buniamshof Bücherverbrennungen statt, Der Lübecker General-Anzeiger schrieb am Tag danach: „Daraufhin zog alles geschlossen mit Musik zum Buniamshof, wo die undeutschen Schriften und Bücher verbrannt wurden. Tausende schlossen sich an und Tausende warteten bereits auf dem Platze, wo Studienrat Schmiedel das Wort ergriff und den undeutschen Geist anprangerte. Unter dem Jubel der begeisterten Massen – die Jugend Lübecks war wohl fast vollzählig erschienen! – wurde der große Stoß angezündet.“ Auch Thomas Manns Bücher wurden verbrannt.

Komischer Ort für einen Club wie den Roten Stern, in dem Migranten willkommen sind. Keine Diskriminierung. Ein etwas anderer Umgang, Meinungsbildungsprozesse öffentlich, Diskussionen, wenig Druck, undogmatisch. „Wir haben Mitglieder aus allen Parteien“, sagt Dohmen, und zählt auf: „SPD, Grüne, Linke, Piraten, Nichtwähler“.

Die erste Männermannschaft ist jede Saison aufgestiegen und kickt jetzt in der Kreisklasse A. Im Pokal darf der Rote Stern in dieser Saison gegen die Zweite des VfB Lübeck ran. „Traumlos“, schwärmt Dohmen, dreht eine Fluppe und steckt sie hinters Ohr. Über der Fluppe hinterm Ohr sitzt eine schwarze Mütze, daran ein roter Stern mit Holstentor drauf. Zu Weihnachten gibt es rote Sterne aus Marzipan.

Der große Stadtrivale VfB Lübeck ist ein Club mit großer Vergangenheit, bescheidener Gegenwart und teilweise problematischer Fanszene. Von Anfang an spielte die dritte Mannschaft des VfB Lübeck in der gleichen Liga wie der Rote Stern. Sind immer zusammen aufgestiegen. „Mit denen hatten wir arge Probleme“, sagt Dohmen, „diese Begegnungen ziehen Rechtsradikale an.“

Im Schnitt kommen 120 Zuschauer zu den Heimspielen von Roter Stern ins Stadion Holstentor Süd. Gegen den VfB kommen schon mal 500 zur Lohmühle. Dohmen holt die Fluppe hinterm Ohr vor, steckt sie an, und erinnert sich an eine Partie, bei der die Rechten den Platz stürmten, „die Polizei musste das Spiel sichern“. Das war in der Kreisklasse D. Einmal waren 400 Nazis aus dem Umland beim Spiel gegen die Dritte des VfB Lübeck: „Rassistische, homophobe, sexistische Lieder, Drohungen, Bierflaschenwürfe – die wollten uns Angst einjagen“, sagt Dohmen. Das mit der Angst klappte nicht. Nach einem anderen Spiel an der Lohmühle lauerten Nazi-Hooligans der Clubs SG Dynamo Schwerin und FC Anker Wismar den Fans des Roten Stern auf. „Die haben Frauen und Kinder auf dem Weg nach Hause angegriffen“, sagt Dohmen.

Am kommenden Sonntag spielt der Rote Stern wieder an der Lohmühle, gegen die Dritte des VfB, mittags um eins. „Das letzte Spiel war friedlich, was daran liegt, dass die Polizei die Nazis dran gehindert hat, ins Stadion zu kommen oder unsere Fans anzugreifen“, erklärt Dohmen.

Trainer Jens Schmidt, Pflegedienstleiter, Kollege von Dohmen, kommt zum Training. „Der VfB ist nicht unser Feindbild“, sagt er, „wir haben auch kein Problem mit der Mannschaft.“ Es gebe sogar Menschen, die in beiden Vereinen Mitglied seien. Aber distanzieren könnte sich der VfB Lübeck schon von den Leuten, die bei den Spielen des Roten Sterns auf der Lohmühle randalieren. „Pressemitteilungen reichen nicht“, findet Dohmen.

Die Spieler trudeln ein. Trainer Schmidt glaubt, „dass die Struktur, also etwa die Trainingsmöglichkeiten, nicht mehr hergibt als Kreisklasse A“. Trainiert wird auf Grand, den Rasenplatz auf dem Buniamshof kriegt der Rote Stern nicht, einen Kunstrasenplatz auch nicht, weil er kein Vereinsgelände hat. Ein Vereinsheim gibt es auch nicht. Zwölf bis 14 Spieler kommen zum Training, der Altersdurchschnitt liegt bei 27 Jahren. „Wir hätten gerne Nachwuchs, da gibt es häufig Anfragen, aber das ist schwierig“, sagt Dohmen, er denkt über eine Spielgemeinschaft mit einem anderen Verein nach.

Zum offenen Training am vorigen Mittwoch kamen 34 Leute, davon zehn Frauen. Der Verein könnte noch schneller wachsen. Mit den Mitgliedsbeiträgen kommt er nicht weit: ab ein Euro pro Monat für diejenigen ohne, ab drei Euro pro Monat für die mit festem Einkommen. „Nach oben offen“, sagt Schatzmeister Ragnar Harald Lüttke. Zusätzlich gibt er Anteilsscheine über 50 Euro aus. Der größte Sponsor zahlt 400 Euro. Bei den Sponsoren gucken Dohmen und Lüttke, dass die zum Roten Stern passen. Firmen ohne Betriebsrat, mit Kinderarbeit, Bezahlung unter Tarif, die ihr Geld mit Tierquälerei machen, „gehen nicht“, sagt Lüttke und schüttelt den Kopf.

Das Training beginnt. Die Spieler sollen den Ball fangen. Auf einem kleinen Rasenstück. Ist verboten. Geht, weil der Hausmeister gerade nicht da ist. Wenn er kommt, jagt er sie runter.