Manas auf dem fliegenden Pferd

IMMER WEITER (4) Vor der Ankunft in Kirgistan muss das Himmelsgebirge überwunden werden. Schafe mähen den Fußballplatz, und beim Essen spricht man über Wölfe

Über ihren Jurten nahe dem Köö-Aschu-Pass haben manche Bewohner Solarplatten befestigt

VON CATARINA VON WEDEMEYER

In Kirgistan ist es egal, ob das Steuer rechts oder links ist. Trotzdem haben die Autofahrer einen Apparat, der anfängt zu piepen, wenn sich ein Polizeiauto nähert. Ob die Polizisten echt sind, weiß man aber nicht. Denn am Wochenende verleihen sie ihre Uniformen an Cousins. Damit die auch noch ein bisschen Geld machen können.

Die Grenze zu passieren, dauert länger als an allen bisherigen Grenzen. Schließlich soll der Sprinter das Land nicht nur durchqueren, wie in Polen, der Ukraine, Russland und Kasachstan. Hier führen wir ihn ein. Und dann auch noch als Spende. Eine ungewöhnliche Situation für die Grenzbeamten. Also ruft Taalai, unser Kirgise und Übersetzer, einen Freund an, der das Grenzbeamtentum in Moskau erlernte und daher als Autorität gilt. Schon dürfen wir passieren.

Bitte keine Lobeshymne

Richtung Tienschan, chinesisch für Himmelsgebirge, ist das Gras neben der Straße grün. Die Hügel dahinter tragen gelben Flaum, in der Ferne sehen die Berge blau aus, ganz oben liegt der ewige Schnee. Aber Lobeshymnen über das Land blocken die Kirgisen schnell ab. In jedem Gespräch erinnern sie daran, dass die Gesundheitsminister in den letzten drei Jahren sechsmal gewechselt haben. Oder daran, dass die ehemaligen Präsidenten Arkabajew und Bakijew beide im Exil leben. Russisch spricht man hier nur noch in den Städten, der Zigarettenpreis erklärt den Zustand der Wirtschaft: Eine Schachtel kostet hier umgerechnet 30 Cent.

Noch etwas verweist auf den Abstand zum Westen: In ganz Bischkek gibt es keinen einzigen McDonald’s. Und nach dem Essen legen die Kirgisen die Hände vors Gesicht und führen sie dann zusammen. Auch die Städter.

Die ältere Generation sieht die Entwicklung des Landes nicht ganz so pessimistisch. „Wir wohnen doch außerhalb“, antwortet Andarbek, als das Gespräch auf das Massaker kommt, das 2010 in Talas stattfand. „Außerhalb“ heißt bei ihm zwei Kilometer. Weder der Kinodirektor Andarbek noch seine Frau Aiganisch haben goldene Zähne in den vorderen Reihen, ein Zeichen für Reichtum und Gesundheit. Obwohl Aiganisch als Richterin arbeitet, melkt sie morgens und abends die Kuh. Die Kühe sind es auch, die hier abends das Tempo des Verkehrs bestimmen. Und den Fußballplatz mähen die Schafe.

Von Talas fahren wir durch Zwillingspappel und Tausendquell zu dem Mausoleum von Manas. Manas ist der Nationalheld der Kirgisen. Der einzige. Überall klebt er in Supermanpose auf fliegendem Pferd. Auch in den Kinderzimmern gehört Manas zum festen Inventar.

Inzwischen haben schon die Bushaltestellen die Form von Jurten. Dann gibt es keine Bushaltestellen mehr. Und dann gibt es noch nicht einmal mehr Straßen. Wir zelten neben der Jurte von Saira und ihren Söhnen. Noch liegt kein Filz über dem Tündük, dem Oberlicht. Auf den bunten Polstern ruht reglos eine Großmutter. Nur wenn das Truthahnküken auf ihre Brust hüpft, greift sie zum Stock. Aber sie ist nicht schnell genug, einer der Enkelsöhne packt das Huhn mit einer Hand und wirft es zur Tür hinaus. Dabei folgt er ihm nicht einmal mit den Blicken. Dann gehen die Kinder zum Dschan-Ramasan. Mit den Liedern verdienen sie Süßigkeiten und Geld. Oder Schafe. Ähnlich wie die deutschen Sternsinger, nur dass ein Schaf ungefähr 60 Euro wert ist.

Im Waisenheim

Beim Abendessen dreht sich das Gespräch um Wölfe und darum, wie man Käse herstellt. Die Kirgisen kneten trockene Milch zu Kurut, kleinen Knödeln. So hält die Milch auch ohne Kühlschrank. Außerdem gibt es Kimis, gegorene Stutenmilch. Muchtar rührt sie in dem schmalen Holzfass. Der 31-Jährige kommt aus dem Waisenheim von Bielowotsk, direkt neben unserem Zielort. Abends beginnt er zu erzählen. Auf einem Schulausflug nach Osch nahmen Usbeken 1991 die gesamte dritte Klasse gefangen und hielten sie einen Monat lang in einem Keller fest. Trotzdem hatte Muchtar Glück. Als er älter war, entschieden sich kirgisische Milizen, ihn auszubilden, und er lernte lesen und schreiben. Am nächsten Tag hockt er vor dem Ofen und bereitet den Tschai. Gleichzeitig liest er Dschingis Aitmatow.

Auf dem Weg vom Ötmök-Pass zum Köö-Aschu-Pass stehen viele Jurten, aus denen weißer Rauch qualmt. Aus manchen qualmt nichts. Über den Bändern mit Ornamenten haben die Bewohner Solarplatten befestigt. Die andere Seite des Gebirges ist so steil, dass hier kaum mehr jemand wohnt. Manche Lastwagenfahrer klappen ihre Motorhauben auf, damit ihre Maschine nicht überhitzt.

Nach 4.000 Höhenmetern kommen wir ans Ziel. Die Bewohner der Sozialdorfs Manas und die Leiterin Gulia Takyrbaschewa begrüßen uns mit Rasseln und Zimbeln. Dann entern alle den Sprinter. Und da bleiben sie erst einmal für die nächsten zwei Stunden.

■ Catarina von Wedemeyer brachte zusammen mit drei Mitfahrern einen Sprinter als Spende zu einem kirgisischen Sozialprojekt, dem Dorf Manas. Mehr Infos unter www.sozialdorf.org