Abraham verschwindet in einem Off eigener Art

FILM IM FILM Rudolf Thomes neuer Film „Ins Blaue“ ist auch ein Film über das Verschwinden

Thome erfindet einen Regisseur, der ihm in mancher Hinsicht ähnelt

In der Regel sind die Filme von Rudolf Thome Filme, die Frauen zusehen bei dem, was sie tun: Zuletzt einer Frau auf der durchaus rabiaten Suche nach einem passenden Mann (Hannah Herzsprung in „Pink“); zwei Frauen, die einen Mann einfangen wie eine Spinne die Beute im Netz (Katharina Lorenz und Seyneb Saleh in „Das rote Zimmer“). Männer allerdings spielen bei Thome sehr wohl eine Rolle, nicht nur als Opfer. Souverän und stark jedoch sind sie selten, eher verführbar und schwach. Manchmal steht gleich Marquard Bohm vor der Tür, das Kreuz auf der Schulter als Jesus wie im Passionsspiel („Das Geheimnis“). Oder Hanns Zischler lädt die Frauen seines Lebens zu einer Party zu sich („Paradiso – Sieben Tage mit sieben Frauen“). Sanfte Perversionen christlich-abendländischer Konfigurationen, nie so ganz von dieser Welt.

Rudolf Thomes jüngster Film heißt „Ins Blaue“. Es ist ein Film, der jungen Frauen bei dem zusieht, was sie tun. Im Zentrum steht Nike (Alice Dwyer), die ihren ersten Film dreht um drei junge Frauen, die in Italien unterwegs sind ins Blaue und dabei einem Mönch begegnen, der auch Kfz-Mechaniker ist, und einem Fischer, der als bärtige Aphrodite aus dem Meer kommt und leider nicht spricht, aber der Sex mit ihm in einer verborgenen Höhle ist gut. Junge Frauen, die Männern begegnen und diese Männer zu verführen versuchen: „Ins Blaue“, der Film im Film, ist sichtlich ein Thome-Film, daran ändert die ungewohnt bewegliche, zoomende Kamera von Bernadette Paaßen rein gar nichts.

Komplizierter jedoch wird alles durch die Rahmenkonstruktion. Als Produzent bei diesem Debütfilm ist nämlich Nikes Vater Abraham mit an Bord, selbst ein sehr erfahrener Filmregisseur. Er wird von Vadim Glowna gespielt, der wenige Monate nach dem Dreh dieses Films starb: Es ist seine letzte große Rolle. Er gibt dem Film, der manche begonnene Geschichte ins Leere (oder ins Blaue) laufen lässt, einen Halt. Aus Geldmangel muss Abraham im Film der eigenen Tochter mitspielen, in einer überaus heiklen Rolle, in der sich sein eigenes heikles Verhalten als Produzent zu allem Überfluss spiegelt.

Eine Spiegelung eigener Art ist dieser ganze Film: Die Rolle, die Glowna spielt, ist nicht zuletzt ein (bewusst verzerrtes) Selbstporträt Rudolf Thomes, dessen Tochter auch Filme dreht. Daraus resultiert ein höchst intrikates Spiel des Ziehens von Fäden: Thome erfindet einen Regisseur, der ihm in mancher Hinsicht ähnelt, und zeigt, wie dieser die eigene Tochter – zu viel darf man im Vorhinein nicht verraten – hintergeht. Und die übliche Thome-Konstellation (der Regisseur sieht Frauen zu bei dem, was sie tun) wird umgedreht: Der Regisseur Thome zeigt eine Regisseurin, die ihren Vater in eine pervertierte Urszene nackt vor die eigene Kamera drängt. Neben dem Film im Film und dem Film, der vom Drehen erzählt, gibt es also diesen weiteren Rahmen: Rudolf Thomes bei allen sich ereignenden Heiterkeiten eher grimmiges Porträt einer Vater-Tochter-Beziehung, und zugleich seines Metiers.

„Ins Blaue“ ist auch ein Film übers Verschwinden. Der Mönch, der Fischer sind nach Roadmovieart eine Weile sehr präsent, dann verschwinden sie in einer der Ellipsen, die den Film prägen. Auch Abraham wird am Ende dann weg sein, in einem Off eigener Art. Es bleibt ein Brief, aber ein letztes, womöglich versöhnendes Bild verweigert Thome bewusst. In dieser vorletzten Rolle klingt vieles an, das Glowna in seinem Leben gespielt hat. „Ins Blaue“ ist ein großer Abschied, weil der Schauspieler das moralisch Prekäre seiner Figur mit Selbstverständlichkeit, Mut und Würde darstellt.

EKKEHARD KNÖRER

■ „Ins Blaue“. Regie: Rudolf Thome. Mit Vadim Glowna, Alice Dwyer u. a. Deutschland 2011, 105 Min.