Die Schrecken des Spiegels

SCHAURIG In „Das verborgene Gesicht“ erzählt der kolumbianische Regisseur Andrés Baiz eine eher stille Schauergeschichte, die ganz ohne Geister, Monster und Blut auskommt

Baiz lässt das Unheimliche so sachte heranschleichen, wie es sich heute wohl kein Genreregisseur in Hollywood mehr trauen dürfte

VON WILFRIED HIPPEN

„Das Böse kommt auf leisen Sohlen“ ist nicht nur der Titel eines späten Romans von Ray Bradbury, sondern auch so etwas wie das Motto jener Art von Horrorgeschichte, die in Edgar Allen Poe einen frühen Meister fand. Statt einem Schauer von Effekten reicht da eine Grundidee, die atmosphärisch dicht, vor allem aber mit einer gnadenlos konsequenten Logik ausgeschöpft wird: Das Geheimnis eines Hauses, ein Pendel, eine Grube oder ein verschlossener Raum. In dieser Tradition hat Andrés Baiz „La cara oculta“ inszeniert, und er lässt das Unheimliche so sachte heranschleichen, wie es sich heute wohl kein Genreregisseur in Hollywood mehr trauen dürfte.

In der ersten Einstellung sehen wir den Dirigenten Adrian, der sich mit Tränen in den Augen eine Videoaufnahmen seiner Freundin Belen ansieht, die ihm darin sagt, dass sie ihn verlässt, und dass er sie nicht suchen soll. Doch schon bald tröstet er sich mit der Barkeeperin Fabiana, die bald zu ihm in die riesige Villa zieht. Von nun an wird streng aus ihrer Perspektive erzählt, und die erste Irritation sind die beiden Polizisten, die regelmäßig an der Tür auftauchen und deren Fragen bald deutlich machen, dass sie Adrain verdächtigen, etwas mit dem Verschwinden von Belen zu tun zu haben. Beide waren erst vor kurzem aus Spanien nach Bogota gezogen, wo Adrain ein Jahr lang ein renommiertes Orchester leitet, und schon bald darauf war sie spurlos verschwunden. Wirklich seltsam beginnt sich Fabiana aber kurz darauf zu fühlen, wenn sie eine Stimme aus dem Wasserhahn zu hören glaubt, sich auf dem Wasser in der Badewanne plötzlich kleine Wellen bilden und das Wasser plötzlich kochend heiß aus der Dusche kommt. Leicht irritiert ist zuerst auch der Zuschauer, denn Baiz lässt die Schauspielerin Martina Garcia meist nackt im Bad und im Schlafzimmer auftreten. Man(n) wird da förmlich in die Rolle eines Voyeurs gedrängt und der Verdacht drängt sich auf, dass da ein Regisseur ein wenig zu offensichtlich seinen eigenen Vorlieben nachgibt. Aber auch dieses Unbehagen ist so gewollt, denn später wird sich zeigen, dass Bad und Bett Schnittpunkte zu einer ganz anderen Erzähl-Ebene sind, und dass dabei die Räume und die Blicke eine entscheidende Bedeutung bekommen.

Doch ab hier muss der Kritiker aufpassen, dass er nicht zu viel vom Plot ausplaudert, denn dieser Film lebt von seinen überraschenden Wendungen und einige davon sind mit solch einer präzisen Logik gesetzt, dass nur ein Spielverderber sie hier verraten würde. Also ganz vorsichtig: Im zweiten Akt gibt es einen radikalen Wechsel der Perspektive und alles wird noch einmal so erzählt, wie die vermeintlich verschwundene Belen es erlebt. Sie zieht mit ihrem Geliebten von Madrid nach Bogota und übernimmt dort den Haushalt über die luxuriöse Villa, die einer älteren deutschen Frau gehört, die dort lange mit ihrem Mann und ihrem sehr deutschen Schäferhund lebte (dessen realer Name im Abspann mit Mossad angegeben wird). Sie waren aus den offensichtlichen Gründen nach dem Krieg aus Deutschland geflohen und in paranoider Angst vor der Auslieferung baute der inzwischen Verstorbene mit dem Erfindungsgabe und der Gründlichkeit eines deutschen Ingenieurs sein Haus so um, dass ihn dort niemand finden würde. Belen wird von Eifersucht geplagt, und sie glaubt, die geheimen Räume und Installationen des Hauses dafür testen zu können, die Treue ihres Freundes zu testen. So etwas geht natürlich immer schief und so kommt es dazu, dass die eine Frau hilflos mit ansehen muss, wie ihr Geliebter sehr schnell über ihr Verschwinden hinwegkommt und mit ihrer Nachfolgerin glücklich zu sein scheint. Im dritten Akt wird dann wechselnd aus beiden Perspektiven erzählt, denn um die Geschichte zu dem besten (also im Sinne des Genres schlimmsten) Ende zu führen, müssen die Parallelen schließlich kreuzen. Auch hierbei inszeniert Baiz unaufdringlich, weil er genau um die Wirkung und Stärken seiner Geschichte weiß. Mit der Zeit kann einem allerdings die hier ausgestellte europäische Kultiviertheit auf die Nerven gehen, aber auch das ist vielleicht eine der raffinierten Finten des Regisseurs. Denn während Fabiana meist nackt und nass vor dem Eigenleben der Villa erschrickt, wird Adrian ständig als der souveräne Maestro gezeigt, der immer genau die passenden Passagen von Brahms und Tschaikowsky dirigiert. Diese Künstlerseele tut nichts und ist doch die einzige wirklich boshafte Figur des Films.