Rituale der Demütigung

SCHNITTSTELLEN Ein Symposium des Festivals „Foreign Affairs“ drehte sich um das Unbehagen im Umgang mit dem Kolonialismus. Das ist auch Thema von „We love Africa and Africa loves us“. Doch erst nach quälenden Stunden

Es braucht endlich neue Bilder statt der Wiederholung der Vergangenheit

VON ELISE GRATON

Der Bühnenraum im Ballhaus Ost wird von einem riesigen Holzkasten beherrscht. Alles, was in ihm geschieht, ist nur dank zweier Kameras zu sehen, auf die Außenwand projiziert. Familie Fritzl sitzt auf dem Sofa: Mutter, Vater, großer und kleiner Sohn.

Das ist dieselbe Konstellation, dasselbe Bühnenkonzept wie aus dem vorigen Stück des schwedischen Videokünstlers Markus Öhrn in Zusammenarbeit mit den Kollektiven Institutet und Nya Rampen. Sein Erstlingswerk brachte damals Liebe, Besitzanspruch und Patriarchat miteinander in Verbindung und sorgte für Aufregung in der Theaterwelt. Nun soll mit „Africa loves us and we love Africa“, als Premiere beim Festival „Foreign Affairs“ in Berlin zu sehen, der Zusammenhang zwischen westlichen Familienstrukturen und dem Ansporn humanitärer Hilfe in Afrika veranschaulicht werden.

Zunächst aber nimmt der kleine Sohn die Kamera in die Hand, hält seine Plastikpistole vor die Linse und spielt Ego-Shooter. Mutti wirkt irgendwie schon tot, aber Vati macht mit, entblößt seinen Hintern und kichert: „Nicht in meinen Arsch.“ Als der ältere Sohn mitspielen will: „Schieß in MEINEN Arsch!“, wird er sofort für schwul erklärt und gedemütigt. Wagners Walküren-Ritt summend, rammt ihm der Vater einen kleinen Helikopter zwischen die Pobacken und brüllt „Heli im Arsch!“. Das „Apocalypse Now“-Zitat wird immerfort wiederholt, und schon nach 30 Minuten verlassen die ersten ZuschauerInnen den Saal: Papa nervt.

Schwulenwitze plärren

„Dieser Körper gehört mir“, sagt der große Sohn und beendet damit das derbe Spiel. Doch prompt fängt sein Bruder an, Schwulenwitze herauszuplärren; Vater klebt sich mit Tesafilm einen erigierten Penis aus Plastik an den Hosenschlitz und verlangt einen Blowjob. Aufs Wort gehorcht die scheintote Mutter – und der Saal schrumpft um ein paar ZuschauerInnen mehr.

Die Demütigung – das ist das erste Stichwort, das diese Produktion mit einem Symposium des Festivals „Stages of Colonialism/Stages of discomfort“ verbindet. Die karikierten Demütigungsspiele der Familie Fritzl rufen den Vortrag von Autorin und Psychologin Grada Kilomba in Erinnerung, in dem sie drei Tage vor Öhrns Stück das Bedürfnis des weißen Subjekts hinterfragte, das schwarze Subjekt stets zu demütigen. Überdruss angesichts jener anhaltenden Machtverhältnisse offenbarte sich im Anschluss an Kilombas Vortrag: Für Empörung sorgte Dozent Klaus-Peter Klöpping, als er Zeichnungen aus dem letzten Jahrhundert projizierte, die stets Afrikanerinnen mit prallen Hintern darstellten. Vor allem Frauen protestierten, solche Bilder wolle man nicht mehr sehen, und wohin die visuelle Folter überhaupt führen solle?

„Dieser Körper gehört mir“, sagt im Stück auch die plötzlich aus dem Koma erwachte Mutter Fritzl in die Kamera. Danach bricht sie wieder leblos auf dem Boden zusammen. Diesen Vorgang wiederholt sie ein Dutzend Mal, bis sie am Ende in aufrechter Position beteuert: „Ich bin attraktiv, du hast Angst vor mir“, und ihre sexuelle Lust anpreist. Sofort verschwindet der überforderte Vater in den Keller.

Als Mutter alle auffordert zu folgen, weinen die Kinder: „Nicht schon wieder!“ Denn dort wurden sie vom Vater schon so oft misshandelt. Ab jetzt wird der Keller als Parabel auf Afrika verortet, wo der Vater, dessen patriarchale Vorherrschaft im Familienkreis schwächelt, sich nun ausleben will.

Vater beugt sich über einen Haufen zerstückelter, schwarz bemalter Babypuppen und brüllt „Ihr braucht Hilfe“. Als dann der große Sohn es erneut wagt, den Vater nachzuahmen, gerät er endgültig zur Zielscheibe. „Du willst also auch nach Afrika?“, fragt der Vater. „Weißt du, was die Afrikaner essen?“ Daraufhin werden ihm Babybeine und -arme in den Schlund gestopft.

Es ist für die Zuschauer eine Zumutung, den bis zur Schmerzgrenze unterfordernden Demütigungsritualen der degenerierten Familie Fritzl im Ballhaus Ost zu folgen. Jedoch macht die über zweieinhalb Stunden lange Performance von Öhrns rein männlichem, weißem, erwachsenem Ensemble am Ende doch eins spürbar: Die westliche Beziehung zu Afrika kränkelt an den immer gleichen, über Generationen überlieferten Bildern vom Kontinent und seinen BewohnerInnen.

Folgerichtig erntete beim Symposium der südafrikanische Künstler Brett Bailey negative Kritik für seine Installation „Exhibit B“. Die Ausstellung stummer schwarzer DarstellerInnen, die an einen Menschenzoo der Kolonialzeit erinnert, gehe am Heute vorbei. „Schon wieder werden wir in koloniale Hierarchien gezwungen“, brachte es schließlich Grada Kilomba auf den Punkt. Anstatt die Vergangenheit durch Wiederholung ins Bewusstsein zu bringen, braucht es nun endlich neue Bilder und einen neuen Dialog.

■ „We love Africa and Africa loves us“. Wieder 11.– 13. Oktober im Ballhaus Ost