Sie wurden nie gefragt

AUSBEUTUNG Die Lubicon Cree leben im Westen Kanadas. Als Jäger und Fischer. Seit Ewigkeiten, sagen sie. Doch in ihrer Erde liegt Öl. Das ist ihr Verhängnis. Der Fotograf Dawin Meckel hat sie besucht

Daphne und Steacy sind Schüler. Sie wissen, dass ihre Heimat ihnen nichts für das weitere Leben bietet. Sie werden gehen müssen Fotos: Dawin Meckel/Ostkreuz

VON BERNHARD PÖTTER

500 Menschen, von der Politik missachtet, von ihrer Lebensweise entfremdet

Überall im Gebiet der Lubicon Cree wird überschüssiges Gas verbrannt. Man sieht es. Und man riecht es

Man nennt es den „Fluch der Ressourcen“: Wo reichhaltige Bodenschätze liegen, leidet die Bevölkerung häufig unter Armut, Korruption, Gesundheitsgefahren und Umweltzerstörung. So wie die Lubicon Cree, Ureinwohner im Westen Kanadas. 500 Menschen, von der Politik missachtet, von Ölfirmen ausgebeutet, von ihrer Lebensweise entfremdet. Die Lubicon Cree haben das Pech, auf einem der größten Ölfelder der Welt zu fischen, zu jagen und zu leben. Aus einer einst stolzen Tradition der Naturverbundenheit sind Heimatverlust, Abhängigkeit und Resignation geworden.

Es ist eine stille Katastrophe, verursacht durch den Hunger nach den Ölsanden

Der Fotograf Dawin Meckel von der Agentur Ostkreuz hat die Lubicon Cree besucht. Er dokumentiert eine stille Katastrophe, verursacht durch den Hunger nach den Ölsänden, die unter dem Gebiet der Lubicon Cree liegen. Von diesen berüchtigten tar sands in der Provinz Alberta kennt man Bilder von riesigen Tagebauten, Mondlandschaften und vergifteten Gewässern. Doch 80 Prozent der Ölschiefer liegen so tief, dass sie, wie hier, unter der Erde abgebaut werden. Die ökologische Verwüstung ist dann nicht so offensichtlich, aber immer noch immens: Mit großem Energieaufwand wird das Bitumen im Boden verflüssigt und abgepumpt, die Luft ist voller Schadstoffe. Die Bewohner berichten von Krankheiten, von totem Vieh und einer Natur, die für Jäger und Fallensteller keine Lebensgrundlage mehr bietet.

Gasförderanlagen geben ein monotones Geräusch ab. Auf und ab, auf und ab. So klingt das Schicksal der Lubicon

Nach Angaben von Amnesty International haben die Lubicon der Nutzung ihres Landes nie zugestimmt. Ein versprochenes Reservat hat die Regierung nie eingerichtet. Inzwischen sind aus dem Land Öl und Gas für etwa 11 Milliarden Euro gefördert worden. Die Ureinwohner sehen nichts von dem Reichtum. Ihnen fehlen Trinkwasser und sanitäre Einrichtungen, ihre Häuser sind überbelegt, sie leiden häufig unter Krankheiten wie Tuberkulose. 1990 befand das Menschenrechtskomitee der UNO, dass Kanada die Rechte der Lubicon verletzt habe. Geändert hat das wenig. Bislang sind laut der kirchlichen Sozialbewegung Kairos Canada 70 Prozent des Stammesgebiets für die Suche nach Öl und Gas verpachtet, 2.600 Quellen angezapft – mehr als fünf Bohrungen pro Stammesmitglied.

Rose wird diese Frau von allen im Dorf genannt. Es ist ein seltener stiller Moment in ihrem Haus, in dem sie sonst ihre sechzehn Enkel und Urenkel hütet

Die Lubicon leben in einfachen Häusern, die von Schimmel befallen sind. Das macht ihre Bewohner krank

Die Ölsande vergiften nicht nur die engere Umgebung. Der Ölboom in Westkanada bedroht auch das Weltklima. Die hohen Preise für Öl und Gas und der Fortschritt in der Fördertechnik machen diese dreckigste Form der Gewinnung von Energiequellen rentabel. Dabei entstehen bei der Produktion dieses Öls mindestens 20 Prozent mehr Treibhausgase als bei anderen Ölquellen, hat die EU errechnet und ihren Markt für das Öl gesperrt – was wütende Lobbyarbeit der kanadischen Regierung in Brüssel nach sich zog. Der schmutzige Reichtum hat auch dazu geführt, dass Kanada sich von einem Vorreiter für grüne Politik zum Schlusslicht entwickelt hat. Erst letztes Jahr stieg die Regierung in Ottawa aus dem Kioto-Protokoll aus und erklärte, das Land fühle sich an seine völkerrechtlich zugesagten Emissionsreduzierungen nicht mehr gebunden. Dagegen wirken selbst die USA – die Kioto nie in Kraft gesetzt haben – wie ein grünes Musterland.

Carlen, 14, im Schlafzimmer des Hauses, in dem er mit seinen Eltern, Geschwistern, Neffen und Nichten wohnt

Washington entscheidet mit über das Schicksal der Ölschieferindustrie. Die geplante Keystone XL Pipeline soll das Öl aus Kanada in die USA liefern. Den Bau dieser Pipeline hat US-Präsident Obama Anfang des Jahres gestoppt – sein Rivale Mitt Romney will sie sofort genehmigen.

Die Ausstellung „Über Grenzen“ der Fotoagentur Ostkreuz wird vom 9. November bis 30. Dezember 2012 im Berliner Haus der Kulturen der Welt gezeigt. Der Katalog erscheint bei Hatje Cantz