Barney Panofsky rechnet wieder ab: Autobiografie eines Giftzwergs

Neu aufgelegt: In „Wie Barney es sieht“ lässt Mordecai Richler den unausstehlichen Barney Panofsky wortgewandt mit seinem Leben abrechnen.

In den 1950er Jahren wandelte Richlers Protagonist Barney Panosky am Ufer der Seine in Paris. Bild: dapd

Es ist ein wenig wie mit amerikanischen Western. Die Guten sind Langweiler, und gäbe es nicht die Bösewichte als Antipoden, wären die Filme kaum zu ertragen. Die Hinterhältigen, Gemeinen, Lügner, Außenseiter und Gewalttätigen sind also so etwas wie das Salz in der Suppe. Das gilt auch für die Literatur.

Alle Versuche, aus einem öden Beamtenleben Funken zu schlagen, sind gescheitert, und wenn solche Leute es dennoch zum Romanprotagonisten geschafft haben, dann umgibt sie ein dunkles Geheimnis, etwas Abgründiges, und manchmal ist es sogar ein Serienkiller, der sich unauffällig als ganz normaler Mensch tarnt.

In Mordecai Richlers neu aufgelegtem Roman „Wie Barney es sieht“ übernimmt von Beginn an ein Halunke die Regie. Und was ist daraus entstanden? Einer der lustigsten und kurzweiligsten Romane dieses Herbstes. Richler lässt seine Hauptfigur, den Giftzwerg Barney Panofsky, ein Feuerwerk der üblen Nachrede, politischer Inkorrektheiten und großartiger Invektiven versprühen. Er schreibt das sich selbst nicht schonende Lebensresümee eines Poltergeistes, der Unheil stiftet und den Stoff für ein großes Drama liefert.

Der 2001 verstorbene Mordecai Richler ist einer der bedeutendsten kanadischen Schriftsteller. Für „Wie Barney es sieht“, seinen letzten, 1997 erschienenen Roman, bekam Richler den angesehenen Commonwealth Writers’ Prize. In diesem 2000 erstmals auf Deutsch herausgekommenen und jetzt neu aufgelegten Werk schlüpft Richler in die Rolle eines kanadischen Juden aus zerrütteten Verhältnissen, dessen Mutter sich schon früh aus dem Staub macht und dessen Vater Izzy ein Trunkenbold ist, der bei der Polizei arbeitet. Barney Panofsky schreibt am Ende seines Lebens seine Autobiografie, weil er das starke Bedürfnis hat, einiges richtigzustellen, aber auch ein wenig Rache zu üben an einigen Personen, die ihm gehörig auf den Senkel gingen.

Barney hat Anfang der 1950er Jahre ein paar Jahre am linken Seine-Ufer gelebt, wo die von ihm bewunderten Lettristen mit bruitistischen Gedichten ihr Unwesen trieben. Dort unternimmt er seine ersten literarischen Versuche für den skandalumwitterten, auf erotische Literatur spezialisierten Verleger Maurice Girodias, kommt aber über zwei Seiten nie hinaus. Barney heiratet die Künstlerin, Nymphomanin und Kleptomanin Clara, als sie schwanger geworden ist. Aber das Kind stammt nicht von ihm, und als wäre das nicht schlimm genug, stirbt das Kind bei der Geburt. Die Mutter begeht Selbstmord und wird posthum mit ihren Gedichten international berühmt.

Aus zerrütteter Familie

Barney kehrt nach Kanada zurück, aber statt Schriftsteller zu werden, scheffelt er Geld als Produzent minderwertiger Fernsehserien. Er versucht, sich eine bürgerliche Reputation zuzulegen: „Ich ging los und kaufte mir ein Haus im Montrealer Vorort Hampstead. Es war perfekt. Es war alles da, Wohnzimmer mit abgesenkter Sitzgruppe, Natursteinkamin, Backrohr auf Augenhöhe, indirekte Beleuchtung, Klimaanlage, geheizte Toilettensitze, angebaute Doppelgarage, im Wohnzimmer ein Panoramafenster … Jetzt brauchte ich nur noch ein Frauchen und einen Hund namens Rover.“ Barney beschließt, als Spendensammler für den United Jewish Appeal zu arbeiten. Der Textilfabrikant Irv Nussbaum macht ihn dabei mit den Tücken des Geschäfts und der Dialektik des Antisemitismus vertraut.

„ ’Scheiße. Dieses Jahr gibt’s Probleme. Die Anzahl antisemitischer Vorfälle ist zurückgegangen.‘ ’Ja. Es ist wirklich eine Schande‘, sagte ich. ’Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin gegen Antisemitismus. Aber jedes Mal, wenn irgendein Arschloch ein Hakenkreuz auf eine Synagogenmauer schmiert oder einen Grabstein in einem unserer Friedhöfe umwirft, werden die Unsrigen so nervös, dass sie von sich aus anrufen, um zu spenden. So wie die Dinge dieses Jahr liegen, müssen Sie die Leute mit dem Holocaust unter Druck setzen. Schikanieren Sie sie mit Auschwitz. Mit Buchenwald. Sagen Sie: Sind Sie sicher, dass es nicht wieder passieren wird, hier zum Beispiel, und wohin wollen Sie dann? Israel ist Ihre Versicherungspolice.‘ “

Wer das nicht witzig findet, sondern denkt, das bestätige nur die antisemitischen Vorurteile, der sieht nicht den Sarkasmus und der geht von der falschen Annahme aus, Antisemiten brauchten einen Vorwand oder einen Grund, um antisemitisch zu sein. Dabei kommt, wie man weiß, der Antisemit auch ohne aus. Nachdem Barney das „jüdische Establishment“ infiltriert hat, findet er auch sein „Frauchen“, verliebt sich aber dummerweise ausgerechnet am Hochzeitstag in eine andere Frau.

Es beginnt eine turbulente Zeit der Lüge und Intrige, denn Barney schafft es nicht, seiner Ehefrau reinen Wein einzuschenken. Das hört sich deprimierend an, aber die schönen Sticheleien in einer von Anbeginn gescheiterten Ehe liest man mit großem Genuss. „Wir sitzen seit circa einer Stunde hier, und du hast ungefähr acht Worte zu mir gesagt. Ich will für so viel Aufmerksamkeit nicht undankbar erscheinen, aber wie lange bleiben wir noch hier?“, fragt seine Frau während eines Dinners.

Mord am besten Freund?

Barney wird schließlich des Mordes an seinem besten Freund angeklagt, den er mit seiner Frau im Bett erwischt hat, muss jedoch freigesprochen werden, weil man zwar ein Motiv, aber keine Leiche hat. Er kriegt seine Angebetete und verliert sie, weil er ein Trinker und „sozialer Paria“ ist, der die Liebe, die er erobert hat, wieder zerstören muss, weil er einfach nicht daran glauben mag, dass das alles mit rechten Dingen zugeht. Er verachtet die Kleinbürgerlichkeit und die Kleingeistigkeit, er ist krankhaft eifersüchtig, und seine gehässigen Tiraden bringen jeden in kürzester Zeit auf die Palme.

Als „jüdischer Aufsteiger“ bleibt er einer aus der Unterschicht, ein flegelhafter, aber intelligenter „Rowdy“, der das jüdische Bürgertum an seine Herkunft aus dem Schtetl erinnert. Barney ist eine tickende Zeitbombe, die auf Selbstzerstörung programmiert ist.

Barney ist ein kleines Ekel, aber er ist brillant, und das nicht nur als schimpfender Rohrspatz, sondern beispielsweise auch als Literaturkritiker: „Eine Figur von P. D. James kann mit explosiven Neuigkeiten einen Raum betreten, aber der Leser erfährt erst davon, wenn ihm Farbe und Material der Vorhänge, die Herkunft des Teppichs, der Farbton der Tapete, Qualität und Sujet der Bilder, Anzahl und Design der Stühle geschildert worden sind.“

Bei Mordecai Richler kann einem das nicht passieren. Da geht es sofort zur Sache. Eine fiktive Autobiografie, die durch ihre Hybris besticht, durch kluge, amüsante Dialoge, und die Einblick gibt in die Abgründe eines Bastards, dessen scharfer Verstand an den genialen H. L. Mencken erinnert. Barney Panofsky kann man nicht lieben, aber er verlangt einem Bewunderung ab. Ich glaube nicht, dass eine solche Figur einem Autor jemals so gut gelungen ist wie Mordecai Richler.

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