Natürliche und ästhetische Ressourcen

KUNST Tue Greenfort hat über Fragen der Nachhaltigkeit nachgedacht und den Gasag Kunstpreis bekommen. Nun sind die Arbeiten des 1973 geborenen Künstlers in der Berlinischen Galerie zu sehen

Tue Greenfort sucht nach pragmatischen Lösungsansätzen – innerhalb und außerhalb des Kunstbetriebs

VON MARCUS WOELLER

Die große Wand zieren noch Schleifspuren. Bis vor Kurzem drehte sich hier eine kopfüber von der Decke hängende Tanne um die eigene Achse. Mit ihren Nadeln hat sie eine grünbraune Zeichnung auf dem Putz hinterlassen. Der Baum rotierte in der Ausstellung „Forst“ von Michael Sailstorfer. Nun stellt Tue Greenfort in der Berlinischen Galerie aus. Statt dem Überkopfballett eines Pirouetten tanzenden Waldes befindet sich dafür eine urbanere Installation an gleicher Stelle. Man sieht ein langes Gasrohr, eine historische Straßenlaterne, Glasobjekte und große Glasscheiben, Zeitungsausschnitte, Dokumentarmaterial. Sailstorfers Schleifspuren hat Greenfort nicht getilgt, sondern in seine Ausstellung integriert.

Delikat macht diese freundliche Übernahme fremder Kunstbestandteile, dass Greenfort mit der Schau für den Gewinn des Gasag Kunstpreises geehrt wird, während Sailstorfer zuvor dort als Preisträger des Vattenfall Contemporary ausstellen durfte. In der Berlinischen Galerie geben sich also nicht nur die preisgekrönten Künstler die Klinke in die Hand, sondern auch die konkurrierenden Sponsoren. Dass zwei Energieunternehmen und Widersacher auf dem Berliner Markt gut dotierte Kunstpreise verleihen, will Greenfort mit dem verbliebenen Zitat des Kollegen auch zum Teil seiner eigenen Arbeit machen.

Die Gasag passe recht gut zu ihm, findet Greenfort, der 1973 im dänischen Holbæk geboren wurde, aber schon lang in Berlin lebt. Schon weil er in seiner künstlerischen Arbeit ständig über Fragen von Nachhaltigkeit und Ressourcen, Wirtschaft und Klimawandel nachdenke. Aber er sieht die zunehmend global agierenden Energiekonzerne auch kritisch: „Wenn wir ein dezentraleres System hätten, und das ist mit der heutigen Technologie durchaus denkbar, dann würden wir auch wieder ein anderes Verhältnis zu den Rohstoffen entwickeln. All diese Ressourcen sind irgendwann Natur gewesen“, sagt er. „Die Monopole bestimmen unsere Denkweise. Ich glaube aber, dass es möglich wäre, auch bei der Energie neue Wege zu gehen, sodass wir auch dort Produzenten werden könnten.“

Greenforts Gedanken kreisen um das Verhältnis von Produzent und Konsument, Ökonomie und Ökologie, Natur und Kultur. Systeme interessieren ihn, besonders solche, deren Teil er ist. „In unserer Erlebnisökonomie wird der Künstler als Erfolgsmodell zelebriert. Das ist aber nur ein Scheinbild von dem, was es eigentlich heißt, Kunst zu machen“, betont er und will deshalb auch die Situation thematisieren, als Künstler mit einem Preis ausgezeichnet zu werden. „Mir liegt es nicht daran, eine Metametakunst zu machen, sondern in den Dialog zu treten. Was bedeutet es, dass Firmen Künstlern Preise geben? Und was bedeutet es, die Preise auch anzunehmen?“

Der Gasag-Preis wird seit 1998 verliehen und fokussiert nach eigener Aussage heute auf die Verschränkung von Kunst, Technik und Wissenschaft. Der Preis ist 10.000 Euro wert und schließt neben der Ausstellung und der Produktion eines Katalogs den Ankauf eines Werks in Höhe von 4.000 Euro ein. In der Jury, die sich in diesem Jahr für Tue Greenfort aussprach, saßen u. a. der Leiter des Hamburger Bahnhofs Eugen Blume, Luca Ticini vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und Susanne Witzgall von der Akademie der Bildenden Künste in München.

Der Preis verspricht also nicht nur bares Geld. Sondern die karnevalisierte Aufmerksamkeit, die zum System zeitgenössische Kunst mittlerweile dazugehört. Der Künstler spielt darin eine Rolle und zu der gehört auch die Performance, Preise anzunehmen und sich ordentlich feiern zu lassen.

„Man könnte sich wünschen, dass es andere Fördermittel für eine Ökonomie der Kunst gäbe. Denn den Einzelerfolg eines Künstlers herauszustellen führt letztendlich zum Modell Damien Hirst. Der wird als Erfolgskünstler per se gefeiert, weil er den Kunstmarkt so gut versteht. Aber es geht kaum um die Kunst, die er eigentlich macht.“ Das sei zynisch, meint Greenfort. „Aber Erfolg macht eben Erfolg. So nährt sich das kapitalistische System und stärkt sich an sich selbst.“

Den pekuniären Erfolg eines Damien Hirst hat Tue Greenfort noch lange nicht erreicht. Er wirkt auch nicht wie einer, der hauptsächlich auf der Straße des Geldes unterwegs ist. Aber auf Aufmerksamkeit kann er gleichwohl nicht verzichten. Den Gasag-Preis erhält er, weil er „einen neuen ästhetischen Zugang zu ökologischen Themen“ eröffne, heißt es in der Entscheidung der Jury.

Diese Herangehensweise an natur- und kulturwissenschaftlichen Probleme über die Ästhetik hält ihn auch davon ab, auf die andere Seite zu wechseln und außerhalb des Kunstbetriebs pragmatische Lösungsansätze zu formulieren. Stattdessen sucht er lieber nach künstlerischen Handlungsspielräumen, die von assoziationsreicher Recherche bis zur Veranschaulichung des Sublimen reichen. Denn den ganz energischen Glauben, dass auch die Kunst etwas verändern könne, hat Greenfort noch nicht verloren.

■ Tue Greenfort, Gasag Kunstpreis 2012, Ausstellung 2. 11. 2012 bis 8. 4. 2013, Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, Kreuzberg, www.berlinischegalerie.de