Versprechen eines freien Lebens

JETSET KOMÖDIE Fast 40 Jahre und immer noch so frisch wie ein Lächeln: Mit „Sylvie“ sollte man auch mal den zärtlichen Klaus Lemke kennenlernen

Und plötzlich New York! Vom deutschen Flughafen zu den 1973 gerade fertiggestellten und oben rum noch sichtlich durchsichtigen, grau-schwer vor der Stadt aufragenden Twin Towers des World Trade Centers liegt in dem Film ein präziser Schnitt ums Ganze: Ein Helikopter umkreist die Türme zugleich liebevoll und respektvoll distanziert – und winzig klein darauf erkennt man bald zwei Gestalten, die eine davon in exaltierter Pose zwischen dem übrig gebliebenen Bauschutt: ein Fotoshooting auf dem Dach der Welt.

Es wird etwas herumgealbert in der Halbnahen mit Manhattan im Rücken – dann zoomt, ja schießt die Kamera geradezu mit Anlauf in die Tiefe der New Yorker Halbinsel. Sehr schön ist’s hier oben, doch wir wollen da runter in den Dschungel der Großstadt, ins pulsierende, schmutzige, Welten öffnende, großartige New York jener Tage.

Dort kriegt die Jetset-Komödie aufregend schöne Schlagseite zum Cinéma Verité, Kinder äugen interessiert in die Kamera – die Straße übernimmt die Regie, Polizeieinsatz inklusive. Es sind grandiose, überkandidelte Bilder voller Leben, die im deutschen Kino jener Jahre ihresgleichen nicht kennen. Deshalb findet man sie in einer deutschen Fernsehproduktion: „Sylvie“. 1973 drehte Klaus Lemke diesen zärtlichen Film über das Model Sylvie (Sylvie Winter), das sich beim Anlauf zum Griff nach der Welt beim Burger-Essen ausgerechnet in den leicht tumben, gemütlich versoffenen Matrosen und Taxifahrer Paul (Paul Lys) verknallt. Wer sich nicht selbst in Sylvie verknallt, wie sie da leicht entgleist zu ihm rüberblickt, der ist dem Kino, auch wenn es im Fernsehen stattfindet, endgültig verloren gegangen.

Später bringt sie ihm über den aus dem Fenster ihres Appartements im Chelsea Hotel gehaltenen Telefonhörer den Straßenlärm New Yorks ans Ohr. 80 Mark, einen ganzen Tagessatz kostet ihn das, Peanuts für das Model im Jetset, in dessen Welt Paul so gar nicht passen will.

Vielleicht nimmt er auch deshalb ständig Reißaus. Klare Ansage: Seine Welt ist das Meer. Eine lange Zugfahrt versucht Sylvie ihren Paul mit Finten und Manövern, mit Pillen und Tränen vom nächsten Seegang abzuhalten.

Glanz des Moments

Atemberaubend und unendlich beglückend, wie jung, wie frei, wie wendig dieser fast 40 Jahre alte Film noch heute ist, wie er mitten hinein ins Versprechen eines freien Lebens springt. Ein Film, der noch beim Wirbeln um seine eigene Achse fragil bleibt, dem ephemeren Glanz des Moments eher auf der Spur als dem Plot: ein Lächeln, eine Träne, ein Augenaufschlag.

Meist wird der Regisseur Klaus Lemke auf den saloppen Sprücheklopfer, den halbstarken Rebell, auf seinen unzweifelhaft großartigen Film „Rocker“ reduziert. Zu entdecken gilt es den anderen, den verliebten, den zärtlichen Lemke: Wer das Kino liebt, tut dies heute mit dem Lemke-Film beim Campingplatzkino im Kreuzberger Prince Charles, und ist anschließend noch ein wenig mehr verliebt. Ins Kino, ins Leben und Sylvie. THOMAS GROH

■ Mittwochsreihe mit Lemke-Filmen im Prince Charles, Prinzenstr. 85F: 28. 11. „Sylvie“, 5. 12. „Rocker“, 12. 12. „Ein komischer Heiliger“, 19. 12. „Träum weiter Julia“, jeweils 21 Uhr, die letzten drei Termine mit Klaus Lemke zu Gast