Gesellschaft tötet Liebe

LIEBE In Philippe Garrels Film „La frontière de l’aube“ findet ein Mann nicht zu einer Frau. Auch dann nicht, als sie nach ihrem Tod als Gespenst zu ihm zurückkehrt

■ Wichtiger französischer Regisseur. 1948 in Boulogne-Billancourt geboren, sein Vater ist der Schauspieler Maurice Garrel. Garrel war Lebensgefährte der Sängerin Nico.

INTERVIEW CRISTINA NORD

Carole, eine junge Frau (Laura Smet), verliebt sich in François (Louis Garrel), obwohl sie verheiratet ist. Als sie die Dreieckskonstellation nicht mehr erträgt, wählt sie den Freitod. Ein Jahr später kehrt sie als Gespenst zu François zurück. Philippe Garrels Film „La frontière de l’aube“ (deutscher Titel: „Zwischen Tag und Nacht“) kleidet die übersinnliche Geschichte in kontrastreiche Schwarz-Weiß-Bilder.

taz: Herr Garrel, warum haben Sie „La frontière de l’aube/Frontier of Dawn“ in Schwarz-Weiß und nicht in Farbe gedreht?

Philippe Garrel: Der Film hat ein fantastisches Sujet. Es geht um die Geschichte einer Frau, die in einem Spiegel lebt. Für diese Art von fantastischer Vorstellungswelt bietet sich Schwarz-Weiß an. Denn unsere Vorstellungen vom Übernatürlichen sind mit den Schwarz-Weiß-Filmen der Vergangenheit verbunden, mit Filmen von Jean Cocteau oder Georges Franju zum Beispiel. Es gibt eine Art Direktverbindung zwischen dem Übersinnlichen und der Schwarz-Weiß-Kultur in unseren Köpfen. Sobald wir einen Schwarz-Weiß-Film sehen, denken wir an alle Schwarz-Weiß-Filme, die wir in der Vergangenheit gesehen haben. Und außerdem ist das Schwarz-Weiß-Kino großartig und viel wertvoller als das, was heute entsteht.

Es ist der dritte Schwarz-Weiß-Film, den Sie gedreht haben, nach „Sauvage Innocence“ und „Les amants réguliers“.

Das liegt daran, dass ich ein freier Filmemacher sein will. Sehr frei! „La frontière de l’aube“ hat 1,2 Millionen Euro gekostet. Das ist kein großes Budget, aber ich will mich damit begnügen, um mir meine Freiheit zu bewahren. Ich will nicht Teil des Starsystems werden, ich will das Recht auf den Final Cut haben. Nun ist Schwarz-Weiß-Film gar nicht billiger als Farbfilm, zumal Kodak die Produktion eingestellt hat. Trotzdem wäre es für mich viel teurer, in Farbe zu drehen. Denn dann müsste ich enorm viel Sorgfalt auf die Drehorte und auf die Kostüme verwenden. Wenn ich in Schwarz-Weiß drehe, können die Schauspieler ihre eigenen Kleidungsstücke tragen. Wenn ich in Farbe drehen würde, bräuchte ich einen Kostümbildner und außerdem einen Art Director, damit die Auswahl der Farben stimmt. Ich habe ein sehr ausgeprägtes ästhetisches Empfinden und würde bestimmte Farbkombinationen nicht dulden.

Wie sind Sie auf die Figur der Frau im Spiegel, auf die tote Geliebte, die als Gespenst zurückkehrt, gekommen?

Die Idee stammt von Théophile Gautier, einem wichtigen Schriftsteller der französischen Romantik. Er war ein Zeitgenosse von Baudelaire. Er schrieb diese Erzählung über eine Frau, die aus dem Jenseits heraus einen Mann liebt. Eine ziemlich unbekannte Geschichte, für mich eher eine untergründige Inspiration, keine Adaption im strengen Sinne.

Gab es denn neben der literarischen Quelle Bilder, die Ihnen vorschwebten?

Ja, natürlich. Es gibt einiges, was ich nicht aufschreibe, was nicht mal in meinem Kopf zu Wörtern geformt wird, sondern dort als Bild entsteht. Zum Beispiel die Sequenz, in der François einen Traum hat. Im Traum ist er auf dem Land und sieht Carole zum ersten Mal im Spiegel. Das war ein Gedanke, den ich hatte – der Gedanke von einem Bild.

Sie filmen die Figuren immer wieder in Augenblicken der Intimität. Gibt es dabei etwas, worauf Sie besonders achten? Etwas, was Sie auf jeden Fall berücksichtigen?

Man muss die richtigen Schauspieler auswählen. Mich interessiert immer die physische Präsenz eines Schauspielers. Und ich versuche, Paare zu studieren, indem ich mich ihnen wissenschaftlich nähere. So wie es Jean-Luc Godard in seinen Filmen und Alberto Moravia in seinen Romanen getan haben. Oder auch Ingmar Bergman. Es geht nicht um einen erotischen Blick, sondern tatsächlich um eine wissenschaftliche Untersuchung. Alain Resnais hat das in „Mon oncle d’Amérique“ versucht. Er hat die Sequenzen, in denen er seinen Figuren zuschaut, an diejenigen montiert, in denen der Verhaltensforscher Laborit das Agieren der Figuren mithilfe seiner Theorien und Forschungsergebnisse erklärt. Was die Paare tun, hat etwas von Pawlow’schen Reflexen.

Das klingt ziemlich pessimistisch, ähnlich wie die Scheibenwischertheorie, die in einer Szene von „La frontière de l’aube“ ins Spiel gebracht wird: Paare zeichnen sich dadurch aus, dass sich immer einer entfernt, sobald sich der andere annähert – wie Scheibenwischer, die sich hin- und herbewegen.

Aber nein, ich sehe mich ganz und gar nicht als Pessimist. Mir geht es um die Frage, was menschliches Verhalten, was Reaktionen und Gefühle prägt und bestimmt, zum Beispiel im Fall der Eifersucht. Das Kino erzählt sehr gerne Liebesgeschichten, es erforscht oft die Welten von Frauen und Männern, deren Gefühle, die Unmöglichkeit von Kommunikation und echtem Austausch. Das ist ein faszinierendes Sujet, und hier kommen wir auch zu „La frontière de l’aube“ zurück, denn das ist ja auch die Geschichte zweier Menschen, die einsam sind und nicht miteinander sprechen können. Ein wunderbares Thema, es geht uns alle an.

In Ihren Filmen arbeiten Sie immer wieder mit einer merkwürdigen Koexistenz von Hohem und Trivialem. Eine nahezu metaphysische Unmöglichkeit, zu lieben, steht auf der einen Seite, auf der anderen der alltägliche Streit wie in „La naissance de l’amour“, wo Lou Castel sich weigert, das dreckige Geschirr zu spülen.

Ich frage mich: Können wir an die Liebe glauben? Jeder Heranwachsende hat eine Riesenangst, dass es die Liebe gar nicht gibt. André Breton hat über die Liebe gesagt: Die Amour fou scheitert, sobald sie mit der Gesellschaft konfrontiert wird. Die sozialen Konventionen zerstören die Liebe – nicht der Betrug, nicht der Verrat, nicht der Sexismus oder der Umstand, dass Männer dazu neigen, Frauen auszubeuten. Sexismus ist nichts, was den Menschen angeboren wäre, wir lernen ihn in der Gesellschaft. Und die Gesellschaft nötigt uns dazu, Feinde der Liebe zu werden. Noch die metaphysischste Form der Liebe, die homosexuelle, scheitert, wenn sie die Regeln der Gesellschaft erfüllen muss.

■ „La frontière de l’aube“. Regie: Philippe Garrel. Mit Laura Smet, Louis Garrel u. a. Frankreich, Italien 2008, 105 Min. Heute, Dienstag, 21 Uhr im Arsenal-Kino im Rahmen der Filmreihe „Dans Paris“