Another Last Waltz

ROCKSTAR In „Shut Up And Play The Hits“ dokumentieren Will Lovelace und Dylan Southern das letzte Konzert der amerikanischen Indie-Band „LCD Soundsystem“

Es ist möglich, dass LCD Soundsystem durch den Film posthum so erfolgreich werden, wie sie es vorher nie waren

VON WILFRIED HIPPEN

Im Grunde war bereits sein erster Hit ein Abschiedslied: In „Losing my Edge“ sang James Murphy 2002 davon, dass er als 32-Jähriger schon nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit, war, dass die hungrigen „digital-natives“ nachrückten und seine Avantgarde für sie schon längst „old school“ sei. Dass genau dieses Statement dem Zeitgeist dieser Jahre entsprach und sich viele US-Amerikaner seiner Generation darin wiederfanden, ist eine der ironischen Pointen seiner Karriere.

Und mit einer ähnlichen Pointe hat Murphy auch (vorläufig) seine Karriere als Rockstar beendet. Auf dem Höhepunkt des Erfolgs, kurz vor dem Durchbruch in den Mainstream, löste er seine Band LCD Soundsystem auf. Weil er sowohl Kopf wie auch Gesicht dieses Projekts war, konnte er diese Entscheidung alleine und ohne großes Drama bei den anderen Bandmitgliedern treffen. Bei den Aufnahmen im Studio soll er einen großen Teil der Musik selber eingespielt haben, er hat alle Songs komponiert und gesungen. Nur für Konzerte wurde das Projekt wirklich eine Band, und der Gitarrist Keith Wood und die Keyboarderin und Sängerin Nancy Whang blieben auch hier als kompetente Profis im Hintergrund. Das Charisma verströmte Murphy mit seinen ekstatischen Auftritten.

Aber auf der Bühne scheint der introvertierte Murphy nie ganz mit sich identisch zu sein. Er ist kein geborener Performer, und verkörpert immer eher die Idee eines Rockstars. Und im Laufe des Films wird dies auch als der eigentliche Grund für seine Eigenpensionierung deutlich. Er selber weicht der Antwort auf diese Frage mit kleinen Witzen aus: Er wolle Zeit dafür haben, Kaffee zu Kochen und mit seinem Hund spazieren zu gehen. Oder Schreiben! Für einen Schriftsteller ist 42 ein gutes Alter, ein Rockmusiker ist dagegen schon ein wenig lächerlich.

Da ist es besser, mit einem grandiosen letzten Konzert abzutreten, und genau dies tat LCD Soundsystem am 2. April 2011 vor 20.000 Besuchern im New Yorker Madison Square Garden. Noch besser ist es, einen Film von diesem Auftritt zu machen. Murphy, dessen Helden die mythischen Figuren der Popmusik David Bowie, Lou Reed und Nick Cave sind, weiß genau um die Wirkung solch eines Films. Martin Scorseses „The Last Waltz“ mit „The Band“ ist hier das offensichtliche Vorbild, und die beiden Filmemacher Will Lovelace und Dylan Southern haben sich große Mühe gegeben, dem Anlass mit ihrer Arbeit gerecht zu werden. Das Konzert steht im Mittelpunkt des Films, die einzelnen Songs werden ausgespielt und die Kameraarbeit ist außergewöhnlich. Denn statt mit den üblichen Totalen, eleganten Schwenks von Kränen oder über den Köpfen des Publikums fliegenden Kameras gibt es hier impressionistische Nahaufnahmen, durch die die Stimmung des Konzerts viel intensiver eingefangen werden kann. Einer der Kameramänner war der Regisseur Spike Jonze („Being John Malkovich“), der schon ein Musikvideo mit LCD Soundsystem gedreht hat.

Als Kontrapunkt zu den manischen, lauten und intensiven Konzertaufnahmen zeigt der Film Murphy in „Ruhephasen“ entweder in den Tagen vor dem Konzert, vor allem aber kurz danach, wenn er alleine seinen Kaffee kocht, mit seinem Hund Gassi geht und seinen Produzenten und Freund Tim Goldsworthy, mit dem er ein sehr vertrautes Gespräch über das Konzert und dessen Nachwirkungen führt. Diese betont unspektakulären Alltagsszenen machen die Fallhöhe zwischen der öffentlichen Figur und der Privatperson James Murphy deutlich. Er wirkt hier immer ein wenig verloren und melancholisch – ein wirkungsvoller Gegensatz zu der Wucht der Konzertaufnahmen. Ein wenig zu konventionell sind dagegen die eingestreuten Sequenzen von einem Interview, das ein Journalist mit Murphy in einem Café führt. Dieser gibt kluge Antworten auf gute Fragen, und so werden nebenbei die wichtigen Informationen über sein Leben, seine Musik und seine Band vermittelt, aber dennoch wird man bei diesen Sequenzen schnell ungeduldig und kann schließlich dem Filmtitel nur zustimmen.

Es ist möglich, dass LCD Soundsystem durch diesen Film posthum so erfolgreich werden, wie sie es vorher nie gewesen sind. Denn Murphy und die Filmemacher haben das Ende perfekt inszeniert – bis zum sentimentalen letzten Song und der letzten Einstellung von einem hemmungslos schluchzenden Konzertbesucher. Murphy hat in diesem Frühjahr ein Musikdownload für eine Schuhmarke veröffentlicht. He hasn’t lost his edge!