Wenn eine Kugel der anderen antwortet

BILLARD Der Cyborg kommt nicht mehr so oft, der Koch kann nicht verlieren: Einmal die Woche rollt die Kugel und man verbringt viel Zeit miteinander

VON DETLEF KUHLBRODT

Als Teenager hatte ich oft Billard in der örtlichen Haschkneipe gespielt und später noch ab und zu mal. So fühlte ich mich gut vorbereitet. Dreißig Jahre später gingen wir abends den Kottbusser Damm entlang und B., der schon ein paar Jahre mit anderen gespielt hatte, sagte, ich müsse damit rechnen, in den nächsten Monaten ständig zu verlieren.

Drei Monate lang gewann ich tatsächlich kein einziges Spiel und entschuldigte mich oft für meine Blindheit. Die Freunde überlegten schon, mich nicht mehr mitspielen zu lassen. Dann wurde es besser.

In dieser Zeit hatten wir noch im „Hot Pool“ am Kottbusser Damm gespielt. Vor zweieinhalb Jahren, als wir wie immer an einem Mittwochabend kamen, war er plötzlich zu. Das Billardsterben hatte ein weiteres Opfer gefordert. Sinnlos standen wir noch ein bisschen herum, guckten ein letztes Mal auf die dunklen Fenster und landeten dann im Q-Club in der Forster Straße. Seitdem spielen wir jede Woche dort.

Oft wird der Q-Club falsch, also wie „Kuh-Club“, ausgesprochen. Er liegt in einer Fabriketage und ist ziemlich groß. Das ist angenehm, vor allem, wenn man als freier Autor sonst immer nur in seiner Einzimmerwohnung herumsitzt. Es gibt zwölf Billardtische und vier Snookertische. Eigentlich ist er weniger schön als der „Hot Pool“: das Licht über den Tischen ist kälter, wenn man aus dem Fenster schaut, sieht man nur Hinterhof, es gibt weder Chips noch Erdnüsse, damit die Spieler nicht mit Fettfingern den Tischbelag versauen. Vor allem muss man zum Rauchen in den kalten Flur gehen.

Die Gruppe ist gut gemischt

Der Q-Club ist aber der letzte Billardsalon im ehemaligen 36, die Tische sind gut gepflegt. Vor allem fühlt man sich von der Musik ernst genommen, merkt, dass die MitarbeiterInnen die Sachen mögen, die sie auflegen. Im „Hot Pool“ war zuletzt fast durchgehend ein Internetradiosender mit the Best of Sixties gelaufen und am Ende sogar Radio Paradiso. Im Q-Club gibt es zwar auch Sixties, Seventies und Eighties, doch Melina, die mexikanische Studentin, legt auch gern Cumbia auf. Alan spielt manchmal, wenn’s spät wird, Jahrmarktstechno aus seiner Kindheit. Mathias ließ neulich Magnetic Fields, Mouse on Mars und dann die Dubliners laufen.

Wir lernten beim Spielen jede Woche die Tresenkräfte kennen und gewöhnten uns ans Nichtrauchen beim Spielen. Es ist ja nicht nur schlecht, man redet mehr miteinander, wenn man in den Raucherpausen mit seiner Bezugsgruppe draußen herumsteht. Am nächsten Morgen fühlt man sich besser.

Die Gruppe ist gut gemischt – der Schotte gibt Englischkurse, die kaltblütige Echse lehrt Deutsch für Spanier, C. ist Koch, O. Weinhändler und der Cyborg kommt nicht mehr so oft, weil er inzwischen in einem Callcenter auf Mallorca arbeitet. Manchmal ist noch ein zweiter Koch da, der gern segelt und sich oft sehr ärgert. Eigentlich ist er viel besser, hat aber so viel Angst vor dem Verlieren, dass er schnell aus dem Konzept kommt und dann auch gegen mich verliert.

Die einen ärgern sich, wenn sie verlieren, den anderen ist das nicht ganz so wichtig. Das Arsenal der Schimpfworte ist begrenzt: die Echse ruft immer „Ficken!“, C., der Amerikaner, „Jesus fucking christ“, ich sagte meist „Kotz“ oder „Ich Trottel!“ oder „Das hast du mit Absicht gemacht!“.

Irgendwann kaufte ich mir einen Queue, den ich oft Schläger nenne, um die Freunde zu ärgern, und übte zuhause an der Playstation Billard. Heute werde ich nicht mehr jedes Mal Letzter.

Die Abende im Q-Club liegen zwischen Sport und Kneipe. Es gibt klare Regeln und Dinge, die immer wieder verhandelt werden müssen. Etwa, ob man mit sechs Leuten besser an drei oder doch lieber an zwei Tischen spielt. Wer zehnmal gewonnen hat, nimmt die Clubkarte mit, die wir uns selbst ausgedacht haben. Selten ist jemand richtig betrunken, und wenn doch, lässt man sich nichts anmerken.

Billardspielen ist sehr viel eleganter als Kartenspielen. Es ist gut für die Konzentration und besser für die Augen als Bildschirme. Ein bisschen auch wie Tischtennis, nur actionärmer und in den Spannungsmomenten anders gewichtet. Das Billard ist ein Medium, das einem ermöglicht, viel Zeit miteinander zu verbringen, ohne sich zu langweilen, ein mentaler Wettkampf. Manchmal auch wie ein Gespräch, bei dem die eine der anderen Kugel antwortet.

Allmählich, ohne es richtig zu merken, wurden wir Stammgäste. Wir kennen die meisten, die an unserem Tag da sind, zumindest vom Sehen: die Vereinsspieler, die in einer ganz anderen Liga spielen, die Männer, die oft zu zweit kommen, die AlleinspielerInnen, die Leute natürlich auch, die früher im „Hot Pool“ gespielt hatten.

Oft bleiben wir bis zum Ende und trinken dann Schnaps am Tresen. Melina erzählt dann manchmal von den Gästen der anderen Tage; von der Polizistin, die oft Kuchen und Essen mitbringt und sie mit „Wie geht es dir, meine Liebe“ begrüßt, von der Flaschensammlerin mit der coolen Frisur, die das Geld vom Flaschensammeln auf ein Extrakonto für ihre zwei Katzen tut und immer zwanzig Minuten spielt, von den drei DienstagsspielerInnen, die „voll seventies“ sind „und total nett und gern Led Zeppelin hören“, von Mexiko und der studentischen Protestbewegung „Yo Soy 132“, in der sie sich engagiert.

Sie sagt: „Unser Publikum, das sind meist Leute aus Berlin. Und ganz viele Arbeitermenschen“ und dass die Arbeiter in Mexiko nicht so freundlich sind wie hier. Mir selber fällt es schwer, das zu beurteilen; studentisch ist das Publikum jedenfalls nicht, auch wenn Studenten dabei sind.