Wildes Durcheinander

FILMLAND RUMÄNIEN In der „Rekonstruktion“-Reihe im Zeughauskino ist an aktuellen Beispielen auch zu sehen, dass das neue rumänische Kino mehr zu bieten hat als nur den rigiden Realismus, mit dem es bekannt wurde

Ein Historienfilm aus der nahen Vergangenheit, die doch schon so weit weg scheint

VON BERT REBHANDL

Auch in Rumänien hat die Katastrophe von Tschernobyl im Frühjahr 1986 die schlecht informierten Untertanen des diktatorisch regierenden Staatschefs Ceaușescu nachhaltig verunsichert. Und als kurz darauf der Fußballverein Steaua Bukarest in einem denkwürdigen Elfmeterschießen den Europacup der Meister gewann, veranlasste das den Fernsehkommentator zu einer unbedachten Bemerkung über das „Strahlen“ der Kommunistischen Partei.

In Gabriel Achims Spielfilm „Visul lui Adalbert“ („Adalberts Traum“) muss sich am Morgen nach dem Spiel ein Ingenieur namens Iulica mit den ganz normalen Schwierigkeiten auseinandersetzen, die das Leben im real existierenden Sozialismus so mit sich bringt. Eine Szene, wie sie ähnlich bereits in vielen anderen rumänischen Filmen zu sehen war, zum Beispiel zuletzt, düsterer und rätselhafter, in Cristi Puius „Aurora“.

In Gabriel Achims Film aber eignet diesem Film- und Tagesbeginn noch eine zusätzliche Dimension. „Adalberts Traum“ ist ein Historienfilm, wie man an verschiedenen Details erkennen kann. An der Kleidung, an einer Super-8-Kamera, die hier eine Rolle spielt, und schließlich an den Fernsehbildern von dem Fußballspiel, das Iulica auf Video aufgenommen hat, um es sich tags darauf mit seinem Chef noch einmal in Ruhe anschauen zu können.

Ein Historienfilm aus der nahen Vergangenheit, die aber doch schon so weit weg scheint: Rumänien unter Ceaușescu, das „Paradies der Arbeiter“, das Gabriel Achim in seinem Filmdebüt durch Fotografien konterkariert, die er aus Archiven geborgen hat. In diesen Fotos werden grässliche Arbeitsunfälle dokumentiert und ausgewertet, damit sie sich nicht wiederholen.

Mit diesen unterschiedlichen filmischen Mitteln entsteht in „Adalberts Traum“ so etwas wie eine Rekonstruktion des Lebens in Rumänien wenige Jahre vor dem Zusammenbruch des Kommunismus. Und mit dem Begriff der Rekonstruktion hat man ein wesentliches Stichwort zur Hand: denn so, „Die Rekonstruktion“, heißt auch ein Spielfilm aus dem Jahr 1968 von Lucian Pintilie, der für den kurzen, international beachteten Aufbruch des rumänischen Kinos Ende der 1960er Jahre steht. Vor zwei Jahren wurde der Film, eine der Schlüsselproduktionen des rumänischen Kinos, bei einer Schau im Zeughauskino gezeigt.

Jetzt wird dort die Erkundung fortgesetzt: „Rekonstruktion. Filmland Rumänien II“ zeigt mit einer Auswahl neuerer und markanter älterer Arbeiten, wie sehr sich die Produktionslandschaft in diesem politisch so prekären südosteuropäischen Land zuletzt differenziert hat. Der rigide Realismus der „Rumänischen neuen Welle“ ist längst nicht mehr das allein herrschende Modell, wie man am deutlichsten an Anca Damians „Crulic“ sehen kann. Hier wird der Fall eines jungen Rumänen, der nach einem Hungerstreik in einem polnischen Gefängnis starb, in animierten Bildern und auf Grundlage von Fotografien erzählt – ein verfremdendes Verfahren, das aber der Trauerarbeit, die hier dem Erzählen zugrundeliegt, durchaus angemessen ist.

Daneben sind bei „Rekonstruktion. Filmland Rumänien II“ im Zeughauskino zahlreiche weitere interessante neue Produktionen zu sehen, aus denen noch der diesjährige „Spitzentitel“ herausragt: „După dealuri“ („Beyond the Hills“), der aktuelle Film von Cristian Mungiu, der nach dem Welterfolg von seiner Abtreibungsgeschichte „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ neuerlich zwei junge Frauen in das Zentrum einer Erzählung stellt. Alina und Voichita kennen einander aus einem Waisenhaus, zu Beginn des Films sehen sie einander zum ersten Mal nach vielen Jahren wieder. Alina kommt aus Deutschland in die rumänische Provinz, wo ihre Freundin in einer Klostergemeinschaft unter ärmlichsten Bedingungen lebt. Einsamkeit, Leidenschaft, Verblendung sind die Themen dieses in Mungius typischem registrierenden Stil gedrehten Dramas, das voll ist von Implikationen in einem Land, in dem die herrschenden Parteien die orthodoxe Kirche als Machtfaktor kalkuliert einzusetzen wissen. „După dealuri“ ist heute zum Auftakt der „Rekonstruktion“-Reihe zu sehen.

Zu den Höhepunkten der Schau gehört schließlich auch ein Film von Lucian Pintilie: Der 1981 gedrehte und noch während der Herstellung verbotene „De ce drag clopotele, Mitică?“ („Warum läuten die Glocken, Mitică?“, auch bekannt unter dem allerdings missverständlichen und zu stark interpretierenden englischen Titel „Carnival Scenes“). Pintilie griff damals auf eine Vorlage des rumänischen Klassikers Ion Luca Caragiale zurück und inszenierte in einer merkwürdigen Mischung aus Studioatmosphäre und Gossenrealismus ein wildes Durcheinander von Liebesgeschichten und Standesrivalitäten, mit dem im Kommunismus kein Staat zu machen war. In den Staat, der Rumänien heute ist, passt der Film aber auch nicht wirklich. Umso wichtiger ist er.

■ „Rekonstruktion – Filmland Rumänien II“ im Zeughauskino, 11.–16. Dezember, Programm: www.dhm.de/kino