Als Heineken illegale Hauskonzerte sponserte

KULTURGESCHICHTE Ein Archiv wird eröffnet, und eine Tochter erzählt die faszinierende Lebensgeschichte ihrer Eltern: Erinnerung an Lin Jaldati, die große Dame des jiddischen Liedes, und den Musikwissenschaftler Eberhard Rebling in der Akademie der Künste

Es klingt fremd und doch auch vertraut, das Lied im Foyer der Akademie der Künste: „’Ch gib a fajf un ruf ojss: Rejsl, kum, kum, kum!“ Jalda Rebling singt auf Jiddisch, als Begleitung spielt ein Akkordeon; es beschleunigt rasant, animiert das Publikum zum Klatschen, ehe es schließlich schleppend ausklingt.

Viel Energie und auch Fröhlichkeit stecken in den jiddischen Liedern, die Jalda Rebling am vergangenen Sonntag in der Akademie am Hanseatenweg vortrug. Anlass war die Zusammenführung und Öffnung der Archive ihrer Eltern Lin Jaldati und Eberhard Rebling: ein Künstlerpaar mit herausragenden Begabungen. Er, Pianist und Musikwissenschaftler, sie, Tänzerin und Ikone des jiddischen Liedgesanges.

Fünf laufende Regalmeter umfasst das Archiv von Lin Jadalti, mit Tonaufnahmen, Tagebüchern und Korrespondenzen, vor allem aber auch eine Sammlung jiddischer Lieder aus Liederbüchern. Zum Eberhard-Rebling-Archiv gehören mehr als elf Laufmeter, in dem sich Manuskripte seiner musikwissenschaftlichen Aufsätze befinden sowie biografische Dokumente. Einige Fotos und Briefe daraus zeigt Jalda Rebling, während sie von ihrer „Mischpoke“, ihrer Familie, erzählt. Immer wieder geht sie zwischen den Liedvorträgen auf die verschiedenen Lebensstationen ihrer Eltern ein, berichtet von ihren persönlichen Erinnerungen und lässt die Eltern durch das Abspielen von Livemitschnitten selbst zu Wort kommen.

Verfolgung, Emigration, Untergrund, Verrat, Haft und Überleben prägten die Stationen ihres gemeinsamen Lebens. Sie lernen sich 1937 in Den Haag kennen, nachdem Eberhard Rebling als Kommunist und Gegner der Nationalsozialisten Deutschland verlassen hatte. Sie wohnen in einem Gemeinschaftshaus. Durch die dünnen Wände hört Lin Jaldati ihren Nachbarn Chopin auf dem Klavier spielen. Die gemeinsame Leidenschaft zur Musik ist es, die sie zusammenbringt. Ab 1938 treten sie gemeinsam auf, Jaldati singt jiddische Lieder und tanzt dazu, er begleitet sie am Klavier. Rebling muss bald schon unter einem anderen Namen auftreten, da er zum Kriegsdienst einberufen wird.

Am 10. Mai 1940 ist das Erschrecken groß: Die deutsche Wehrmacht überfällt die Niederlande. Das Paar engagiert sich fortan gemeinsam im Widerstand, sie veranstalten illegale Hauskonzerte. Diese sind perfekt organisiert, werden sogar von der niederländischen Biermarke Heineken gesponsert, wie die Tochter Jalda Rebling in der Akademie erzählte. Die Verhältnisse werden für die jüdische Bevölkerung in den Niederlanden immer schwieriger, und so kauft Eberhard Rebling ein Haus, in dem er bis 1944 zwanzig jüdische Flüchtlinge sowie Lin, die inzwischen seine Frau geworden ist, und deren Familie versteckt. Doch es kommt zum Verrat, die gesamte Familie seiner Frau wird nach Bergen-Belsen und Auschwitz deportiert. Die mittlerweile geborene Tochter Katinka kann bei Freunden versteckt werden, Rebling selbst wird zum Tode verurteilt. Wie durch ein Wunder können aber beide den Krieg überleben.

1952 siedelt das Paar mit den beiden Töchtern Katinka und Jalda in die DDR um, da Rebling einen gutes Jobangebot bekommt. Lin Jaldati hadert mit dieser Entscheidung, ist skeptisch gegenüber den Deutschen, wird sogar depressiv in Ost-Berlin. Doch sie macht es sich zur Aufgabe, den Opfern des Holocaust eine Stimme zu geben, in einem Staat, in dem faktisch keine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus stattfindet.

1975 wird das Duo auch international erfolgreich, gibt Konzerte auf der ganzen Welt. „Lin war eine Frau, die sich am Leben singt“, sagt Jalda Rebling am Ende über ihre Mutter.

CHRISTINA STEENKEN

■ Die Archive von Lin Jaldati und Eberhard Rebling lassen sich im Lesesaal der Akademie der Künste am Robert-Koch-Platz 10 nach vorheriger Anmeldung einsehen