Leben in geborgten Räumen

SPIELFILM In Frieder Schlaichs „Weil ich schöner bin“ ist die Heldin ein Teenie wie jeder andere auch – wäre ihre Familie nicht von Abschiebung bedroht

Im Grunde ist Charo (Mariangel Böhnke) ein junges Mädchen wie alle anderen: gelegentliche Reibereien mit der Mutter, spätnachts mit der besten Freundin bei Jungs anrufen, Wetten abschließen, wer wen als Erstes küsst, im Kaufhaus blödeln, kleinere Konflikte mit dem Gesetz, die sie mit viel Tränen wegspült. Ein Wechsel zum Gymnasium steht auch an. Nur dass Charo nicht wie ihre beste Freundin Laura (Mira Aring) ist: Sie stammt aus einer kolumbianischen Familie, mit der sie seit acht Jahren in Berlin lebt. Ohne Papiere, die Abschiebung stets vor Augen. Ihre Freundinnen wissen von nichts.

Früh im Film steht die Polizei vor der Tür der, wie man später erfährt, untergemieteten Wohnung und das schwermütige Erbe des deutschen Problem- und Themenfilms damit gleich mit. Umso schöner die Überraschung, dass „Weil ich schöner bin“ keinen Miserabilismus bedient, den geschundenen Flüchtling also nicht mit Gravitas zur Erbauung des linksliberalen Publikums viel leiden lässt, sondern zunächst einmal nur von Menschen erzählt, Menschen, die aller Sorge zum Trotz nicht nur weinen, sondern auch lachen, spielen, tanzen. Auch vor dem skurrileren US-Indie-Film entlehnten Mitteln schreckt der Regisseur Frieder Schlaich nicht zurück, etwa wenn er, kurz nachdem die Polizei ein Ausreiseultimatum verhängt hat, Charos Sorgen vor einer Abschiebung mit großen bemalten Papierwänden bebildert, in denen Charo traurig umheräugt, nur um sie wenig später – Schnauze voll von zu viel Denken! – einzureißen.

Vor allem aber ist „Weil ich schöner bin“ ein Film über das Leben im ständigen Transit, ein Film über das Leben in geborgten Räumen, die immer nur Station und Durchgang, nie Rückzugsort und Heim sind: Passend, dass der Film in einer Wohnung beginnt, deren Mietvertrag die Bewohner nicht unterschrieben haben, und am Flughafen endet, dem Nicht-Ort par excellence. Im bürgerlichen Anwesen, in dem Charos Mutter als Putzfrau etwas Geld verdient, spielt Charo in Kleidern, die ihr nicht gehören, mondäne Dame: etwas Pomp auf Pump. Gelegentlich badet Charo im prunkvollen Bad, wenn die Hausherren lange außer Haus sind, und übernachtet dort. Die Gemütlichkeit des Bettes ist von kurzer Dauer: Früh am Morgen müssen Charo und ihre Mutter die Federn fliehen.

Doch Räume sind nicht nur Durchgangsstationen, sondern auch Bastionen: Die bürokratische Schwelle zum Gymnasium, das Charo besuchen will und dürfte, ist kaum zu meistern. Mangels Papiere bleibt das Tor verschlossen – der geklaute Pass einer Spanierin dient allenfalls dazu, der tantigen Dame von der öffentlichen Bibliothek ein paar Westernfilme auf DVD abzuluchsen. Am Abend fragt die Mutter ganz erstaunt, wo die Filme herkommen: Normalität als Ausnahmezustand.

Bereits in den Neunzigern hat sich Frieder Schlaich eines ungleich intensiveren Migrantendramas angenommen: In „Otomo“ schildert er die letzten Stunden eines von Abschiebung bedrohten Flüchtlings, dessen Nerven so blank liegen, dass am Ende Tote zu beklagen sind. Dass „Weil ich schöner bin“ in Ton und Motivlage deutlich sanfter ausfällt, sollte man nicht als Indiz für eine Entspannung in der Sachlage deuten. Im Grunde ist Charos Familie bestens integriert und längst angekommen: Die Dringlichkeit zur Abschiebung – der Film basiert auf einem realen Fall – verweist auf die Absurdität eines Systems, dem der Mensch nichts ist, die eigenen bürokratischen Strukturen alles sind. THOMAS GROH

■ „Weil ich schöner bin“. Regie: Frieder Schlaich. Mit Mariangel Böhnke, Angeles Aparicio u. a. Deutschland 2012, 81 Min.