Der Neofeudalismus der Wohlhabenden

ZUKUNFT In Frankfurt sprach Sighard Neckel über den Verlust kritischer Öffentlichkeit

Sighard Neckel, Professor für Soziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt, ist ein Analytiker der Finanzkrise. Im Rahmen der Reihe „Über die Zukunft der Moderne“ des Frankfurter Instituts für Sozialforschung in Kooperation mit der BHF-Bank-Stiftung referierte er am Mittwoch über das Thema „Jenseits der bürgerlichen Gesellschaft: Refeudalisierung und Postdemokratie“.

Die Finanzkrise machte den Übergang von der Wertschöpfung in der Realwirtschaft ins Kasino der Investmentbanker und Derivatedealer deutlich. Auf den Staat schlug die Krise durch, als er die Banken zu retten begann. Wie in einer Kettenreaktion entstand daraus die Fiskalkrise und stürzte die Staaten und die EU in eine Legitimationskrise. Die friedliche Koexistenz von Kapitalismus und Demokratie bröckelt seither. Zeitdiagnostiker wie Colin Crouch nannten diesen Zustand „Postdemokratie“: Der Kapitalismus saugt der Demokratie das Mark aus den Knochen. Die „Gefährdung der Sozialordnung“ kündigt sich an durch den Substanzverlust „öffentlicher Institutionen“, die unter neoliberaler Vorherrschaft geraten.

Diese Diagnosen gehen von einem Verfall des schon Erreichten aus. Neckel bestreitet solche Verfallserscheinungen nicht. Aber als Restauration lassen sich die herrschenden Verhältnisse nicht beschreiben, denn die Finanzmärkte bedienen sich modernster Methoden, um die Staaten und deren Haushalte zu beeinflussen und zu bevormunden. Neckel bedient sich deshalb des zeitdiagnostischen Konzepts der „Refeudalisierung“, das Habermas bereits 1962 vorgeschlagen hat. Öffentlichkeit diente einst zur Limitierung von staatlicher wie von privater Machtkonzentration. Diese Funktion von Öffentlichkeit geht unter der Herrschaft des Neoliberalismus verloren. Der Neofeudalismus der Wohlhabenden wächst in der Halbwelt von Kasinobanken und Investment-Wettbüros, wo Reichtum „erzeugt“ wird, der nicht auf Leistung, sondern auf Erfolg in einem Hazardspiel beruht.

Was etwa die sozialkulturelle Dimension solcher Refeudalisierung betrifft, kann man sie an der zunehmenden Spaltung von Arm und Reich beziehungsweise an der „Vererbung“ von Armut und Bildungsschranken ablesen. Durch die Privatisierung und Kommerzialisierung fördert der demokratische Staat quasiständische Privilegien. Der Vortrag öffnete neue Blicke auf die Wiederkunft einer „verwilderten Ungleichordnung“. RUDOLF WALTHER