Ganz großes Tennis!

THEATER Laien filmen alles, was passiert: Pollesch fordert „Macht es für euch!“ im Schauspiel Zürich

Warum zahlt eigentlich niemand für Sex in der Ehe? In seinem neuen Stück „Macht es für euch!“, das im Schiffbau in Zürich läuft, stellt René Pollesch eine These des amerikanischen Philosophen Michael Sandel auf den Kopf. Sandel beklagt das allgemeine Verkapitalisieren – Pollesch deckt mit seiner dritten Regiearbeit am Schauspielhaus Zürich auf, dass diese Sicht ziemlich reaktionär ist. Denn bedeutet sie nicht auch, dass Mutterliebe oder Praktikantenarbeit stillschweigend weiter gratis funktionieren sollen? Dabei würde sich die Praktikantin durchaus freuen, als Ware behandelt zu werden.

Im Bühnenbild von Chasper Bertschinger schwingen sich rotsamtene Opernlogen über gefüllte Supermarktregale. Eine breite Showtreppe in der Mitte ist mit den „Ährenleserinnen“ des französischen Malers Jean-François Millet bedruckt. Auf dem Rücken dieser Arbeiterinnen des 19. Jahrhunderts spielen die Ensemblemitglieder Jan Bluthardt, Patrick Güldenberg und Jirka Zett zusammen mit Inga Busch als Gast. Ein Kamerateam aus acht Laiendarstellern filmt alles, was passiert.

Wie in den meisten der Inszenierungen von Pollesch gibt es auch hier keine Geschichte, dafür aber live verkörperte Theorie. Das ist aufregender und komischer, als es vielleicht klingt. Inga Busch zum Beispiel ist sie selbst, die sich selbst spielt, die eine Schauspielerin ist, die in einem Theaterstück mitspielt, in dem sie eine Filmschauspielerin ist. Aber manchmal steigt sie einfach aus dem Stück aus, genau wie Millets Ährenleserin bei Banksy, die in einer Variation des britischen Künstlers auf dem Rahmen sitzt und eine Zigarette raucht. Und plötzlich geht es um die Vielschichtigkeit selbst.

Aus Spiel wird immer wieder auch Ernst, und Ernst kann überhaupt nur aus dem Spiel entstehen: „Man kommt, ohne sie zu spielen, nicht an die Liebe heran.“ Gerade weil man weiß, so die These des Stücks, dass es – Fußball, Theater, das Leben – „nur“ ein Spiel ist, könne man es genießen und intensive Gefühle erleben.

Deshalb macht es wenig, wenn die Schauspieler ab und zu den Text vergessen: Erstens ist die Souffleuse sowieso die ganze Zeit mit auf der Bühne, zweitens wissen die Zuschauer dadurch wieder, dass sie gerade leibhaftig im Theater sind. Außerdem bestätigt der Abend mit diesem Trick das Plädoyer des österreichischen Philosophen Robert Pfaller dafür, die anwesende Körperlichkeit einmal ernster zu nehmen als diese ständige Innerlichkeit.

Der Titel des Stücks, „Macht es für euch!“, greift eine Aufforderung von Brechts Lehrstücken auf, die Laien ohne Publikum für sich selbst spielen sollten. Bei Pollesch findet sich das Publikum in Zürich am Ende in das Theater/den Film eingebaut wieder und das „Wer spielt hier für wen“ ist komplett.

Zu den besten Szenen gehört ein tiefenentspannter Jan Bluthardt, der sich zu Louis Armstrongs „We Have All the Time in the World“ die Treppe „hochschläft“. Diese akrobatische Einlage ist, in den Worten des Abends, „ganz großes Tennis“!

Um was genau es jetzt nochmal ging? Um alles, und zwar sehr. CATARINA VON WEDEMEYER