Der Zauberer von der Friedrichstraße

RETROSPEKTIVE Das Amsterdamer Filminstitut EYE widmet sich mit „Oskar Fischinger (1900–1967): Experiments in Cinematic Abstraction“ einem der wichtigsten Avantegardefilmer des 20. Jahrhunderts

Früh startete Fischinger Versuche mit dem Farbfilm. Und 1933 strahlten, blinkten und quirlten dann kunterbunte Kreise durcheinander, zoomten triumphierend auf den Zuschauer zu

VON BRIGITTE WERNEBURG

Das neue Haus des niederländischen Filminstituts liegt am nördlichen Ufer des IJ, direkt gegenüber dem Amsterdamer Hauptbahnhof. Hervorstechendes Merkmal des neuen Baus ist die drei Stockwerke verbindende Treppe, ein gewaltiger, breit auslaufender Hügel, der das Innere des Hauses restlos auszufüllen scheint. Noch imposanter als diese Architektur sind jedoch die Öffnungszeiten des EYE, wie die beratende PR-Büro das Filmmuseum taufte: Sieben Tage die Woche ist es von morgens um zehn Uhr bis nachts um ein Uhr, am Wochenende sogar bis zwei Uhr geöffnet. Es ist also so gut wie unmöglich, selbst als terminlich eingeschränkter Tourist, eine Ausstellung, die einen interessiert, zu verpassen.

„Oskar Fischinger (1900–1967): Experiments in Cinematic Abstraction“ heißt die derzeitige Ausstellung, bei der das wirklich unklug wäre. Mit Walter Ruttmann, Hans Richter, Viking Eggeling oder auch Norman McLaren gehört Oskar Fischinger zu den wichtigen Protagonisten des frühen Avantgardefilms des 20. Jahrhunderts. Der zunächst als Orgelbauer ausgebildete Ingenieur, der seit Mitte der zwanziger Jahre als Trickfilmspezialist arbeitete, war in damaligen Filmerkreisen als der „Zauberer von der Friedrichstraße“ bekannt.

Er trug zu den scherengeschnittenen „Abenteuern des Prinzen Achmed“ (1926) von Lotte Reiniger wie zu den spektakulären Raumfahrtszenen in Fritz Langs „Frau im Mond“ (1929) bei, dank der von ihm entwickelten Wachsschneidemaschine, die das aufwendige Verfahren der Stop-Motion-Animation automatisierte. Gleichzeitig verfolgte er Projekte, die stärker auf die autonome filmische Abstraktion zielten und die Analogie von visueller Gestaltung und dem Einsatz der Musik betonte.

Der erste Travelogue der Filmgeschichte

Zwischen 1929 und 1934 realisierte Oskar Fischinger insgesamt vierzehn stets Studie genannte Filme, die mit großem Erfolg im Vorprogramm der Kinos liefen – auch international. Unmittelbar nachdem er eine Vorführung von „Komposition in Blau“ (1934/1935) in Los Angeles gesehen hatte, machte Ernst Lubitsch, damals Produktionschef der Paramount Studios, Fischinger das Angebot, für die Paramount zu arbeiten. Doch Hollywood war für den durch die Kunstdirektiven der Nazis geplagten Fischinger nur bedingt eine Rettung. Zwar konnte er bis Mitte der vierziger Jahre noch einige Filme fertigstellen, vor allem Dank der Unterstützung von Hilla von Rebay und dem „Museum of Non-Objective Painting“, wie das Guggenheim Museum New York in seinen Anfängen hieß. Doch mehr und mehr konzentrierte Fischinger sich auf seine abstrakte Malerei, die er 1936, kurz nach seiner Ankunft in den USA, aufgenommen hatte. Erst mit der neuen Experimentalfilmbewegung in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sein Werk wiederentdeckt und gewürdigt.

Merkwürdigerweise kommt es ausgerechnet im architektonischen Bergwerk des EYE richtig zur Geltung, dessen zweite Ebene eine optimal großzügige Ausstellungshöhle ist für insgesamt 24 Filme, sieben Gemälde und rund 120 Animationszeichnungen sowie eine Vielzahl von Dokumenten, Briefen und Fotografien, nicht zu vergessen die Apparate wie den 1950 patentierten Lumigraphen, der es erlaubt, im Rahmen einer Performance, also live, abstrakte Bildfolgen auf eine Leinwand zu projizieren. Die frühen stummen Experimente sind um die Vitrinen mit den Fotos, Briefen, Skizzen und sonstigen Dokumenten gruppiert und laufen permanent. Etwa die „München–Berlin Wanderungen“ (1927), die in Einzelbildern wie Zeitrafferaufnahmen die zweimonatige Fußwanderung Fischingers von der Isar an die Spree nachzeichnen und wahrscheinlich der erste travelogue der Filmgeschichte sind; oder der absolut hinreißende Trickfilm „Seelische Konstruktionen“ (1927), eine mal abstrakte, mal figurative Silhouettenabfolge, die sich letztlich als wilder und ganz schön aggressiver Hofbräuhausbierabsturztraum entziffert.

Die dann folgenden, späteren, mit Musik unterlegten Schwarz-Weiß- oder auch schon Farbfilme werden je einzeln nacheinander abgespielt. Alle Filmleinwände sind wie in einer Gemäldegalerie gehängt, und während man so von einem Wunderwerk zu anderen flaniert, entdeckt man genau darin die Leistung der Amsterdamer Schau. Denn anders als zuletzt allzu gerne gepflegt, wird das Werk Oskar Fischingers hier einmal nicht als Vorläufer des Musikvideos oder des Konzert-Visuals interpretiert. Vielmehr bestärken die Kuratoren – gerade in der konkreten Zusammenschau mit seinen abstrakten Ölmalereien – Fischingers Intention, seinen „Absoluten Film“ als erweitertes, nicht länger statisches, sondern dynamisches Tafelbild zu begreifen.

Das bewegte, malerische Tableau als Entdeckung

Deshalb startet Fischinger schon früh Versuche mit dem Farbfilm. Und 1933 strahlen, blinken und quirlen denn auch plötzlich kunterbunte Kreise durcheinander und zoomen – untermalt von Wagners Ballettmusik zu „Tannhäuser“ – triumphierend auf den Zuschauer zu: „Kreise“, der erste europäische Farbfilm, entpuppte sich dann mit seinem Schlusstitel „Alle Kreise erfasst Tolirag“ als Werbung für eine Werbeagentur. Allerdings nur deshalb, weil Werbung nicht den Restriktionen unterlag, mit denen die Nazis die Spielfilmproduktion kontrollierten und zensierten.

„Quadrate“ (1934), die vier Minuten Film, in denen Oskar Fischinger dieses Mal die Grundform des Vierecks in allen denkbaren Farben, Größen, Überlagerungen und rhythmischen Abfolgen auf der Leinwand in Bewegung setzt, möchte man zu gerne Delirious Albers nennen. Denn man meint, hier spiele die berühmte – allerdings erst 1950 begonnene – Serie „Huldigung an das Quadrat“ des ehemaligen Bauhauslehrers Josef Albers verrückt.

Natürlich ist es etwas einseitig, in der facettenreichen Amsterdamer Würdigung Fischingers allein das bewegte, malerische Tableau zu finden, aber darin liegt aktuell die Entdeckung. Am schönsten und eindrücklichsten realisiert in „Radio Dynamics“ (1942), wiederum vier Minuten Film, die mit dem Satz „Please. No Music“ beginnen. Und dann folgt reine visuelle Musik.

■ Bis 17. März, EYE Amsterdam in Kollaboration mit dem Center for Visual Music, Los Angeles, Katalog 29,95 Euro