Theater als Lehranstalt: Die Küste, der Müll und die Piraten

In Berlin beginnt der Theatermacher Hans-Werner Kroesinger ein Rechercheprojekt zu gescheiterten Staaten am Beispiel Somalias.

Halboffizielle Nebenverabredungen – das Kroesinger-Team bei der Arbeit. Bild: Hebbeltheater Berlin

Container versenken, sie zelebrieren es mit Genuss. Schwupp, gleitet die Pappschachtel durch die Röhre, und gleich noch eine und noch eine. Derweil preisen Nicola Schößler und Lajos Talamonti, Schauspieler im Dokumentartheater-Team von Hans-Werner Kroesinger, die Effizienz ihrer Dienstleistungsfirma „Progresso SrL“, spezialisiert auf die Entsorgung von Sondermüll, giftig oder radioaktiv belastet, längs der afrikanischen Küsten.

„500.000 Tonnen jährlich, verklappt und verbaut in somalischen Küstengewässern“, informieren sie. Denn einerseits existiere dort nach 20 Jahren Bürgerkrieg keine Verwaltung und keine Strafverfolgung, andererseits investiere man dort, wo keine Industrie existiert, in den Aufbau von Müllentsorgungsanlagen. Und, schwupp, sausen die nächsten Miniatur-Container durch den kleinen Stapel Paletten, der das Meer symbolisiert.

Es sieht wie Satire aus, und doch lernt man im Theater von Hans-Werner Kroesinger jede Behauptung als eine Zustandsbeschreibung der Welt kennen, basierend auf Recherchen und Fakten. „Failed States One: Somalia“ heißt seine neuste Produktion, die wieder einem afrikanischen Staat gilt und den Auftakt einer Serie bilden will: Im Fokus stehen eine Reihe sich einer Staatenbildung verweigernder Regionen, an denen sich Institutionen wie die UN die Zähne ausbeißen.

Entführung der Landshut

Das Stück über Somalia, uraufgeführt im Hebbeltheater in Berlin (HAU 1) und noch bis zum 18. Januar dort zu sehen, beginnt mit dem Augenblick, in dem die Hauptstadt Mogadischu ins Bewusstsein der alten Bundesrepublik katapultiert wurde, als im Oktober 1977 die Lufthansa-Maschine Landshut dorthin entführt wurde, um Gefangene der RAF freizupressen. Die Aufmerksamkeit gilt dabei den halboffiziellen Nebenverabredungen der Bundesrepublik unter Helmut Schmidt mit der somalischen Regierung, die auf eine Unterstützung bei Waffenkäufen hinauslief.

Der Berichtsmodus auf der Bühne versucht dabei, den diplomatischen Spielraum der Umgehung von Gesetzen – wie einem Verbot von Waffenlieferungen – auszuloten, die Finten im politischen Jargon aufzuzeigen. Das ist szenisch etwas zäh geraten, bis zu einem Moment, in dem die Verhandelnden, rauchend alle, umeinander und um den Aschenbecher kreisen, ein Bild des Taktierens und Abtastens, des halb Ausgesprochenen und schweigend Markierten.

Es gibt bei Kroesinger keine Nachdramatisierungen der Geschichte wie oft in der filmischen Doku-Fiktion. Er setzt darauf, dass auch die Sprödigkeit von UN-Resolutionen, das Verschwinden der Subjekte in der Sprache der Institutionen seinen eigenen Informationswert hat.

Dennoch wechseln die Spielweise und der Erzählrhythmus: Surreal wirkt in „Failed States One: Somalia“ die Rede eines Reiseführers an das Publikum, obwohl er doch nur rasant durch Kolonialgeschichte und anschließende Diktaturen führt. Zu einer spannenden Erzählung gerät der Bericht um eine Schlacht in Mogadischu 1992, als US-amerikanische Marines, Teil eines militärischen Plans zum Schutz humanitärer Hilfe, bei der spektakulären Erstürmung eines Hotels aus der Luft eine Niederlage erleiden.

„Black Hawk Down“ in low-tec

Der nüchterne Bericht, auch durch den Spielfilm „Black Hawk Down“ (2001) bekannt, wird von einer Zeichnung auf dem Overhead-Projektor begleitet – und so low-tec eine hochgerüstete Militäraktion auf den Punkt zu bringen, ist schon ein Kommentar zum Irrglauben an die Beherrschbarkeit der Konflikte.

Das letzte Kapitel der gut zweistündigen Inszenierung gilt den somalischen Piraten – und im Schatten der Geschichte über die internationalen Geschäfte der Müllverklappung reduziert sich die Empörung über diese Verbrechen. Zumal die Texte hier mehr und mehr eine Perspektive einnehmen, die die Vorteile der Piraterie für die somalische Wirtschaft herausstreicht.

Der Abend ist informativ, dennoch bleibt man am Ende etwas ratlos zurück, welche Schlüsse man aus diesen Episoden ziehen kann. Dass Somalia nicht zu helfen ist? Das will, wer Kroesingers Stücke kennt, nicht glauben.

Dass internationale Programme womöglich nur dann funktionieren, wenn, wie im Fall des Kampfes gegen die Piraten, wirtschaftliche Interessen dahinterstecken? Dass die Instrumente von Friedenssicherung und humanitärer Hilfe von zu vielen Konstrukten ausgehen, die zur Wirklichkeit vor Ort nicht passen? Für diese These erhält man viel Material.

Aber auch das Stück findet keine Konstruktion, den Ort, um den es geht, zu fassen. Er bleibt eine Chimäre, die außerhalb der Konflikte, die weltweit mediale Aufmerksamkeit erhalten, nicht zu existieren scheint.

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