Der Mut eines Boxers

DOKU-DRAMA In „Gibsy“ erzählt Eike Besuden von dem Boxer Johann „Rukeli“ Trollmann, der als Sinto im Hitlerdeutschland auf keinen Fall deutscher Meister werden durfte

Die Mischform aus dokumentarischen und fiktiven Erzählstilen hat Besuden handwerklich souverän eingesetzt

VON WILFRIED HIPPEN

Der Bremer Filmemacher Eike Besuden ist offensichtlich gerade in einer sehr fruchtbaren Schaffensphase. Erst im November war die Premiere seines Films „Aufgeben? – Niemals“, in dem er die Geschichte der jüdischen Kaufmannsfamilie Bamberger und des ursprünglich von ihr gebauten und nun neu aufgebauten und nach ihr benannten Geschäftshauses in der Faulenstraße erzählt. Diese Bremensie ist in der Stadt so erfolgreich, dass über mehrere Wochen Zusatzveranstaltungen im Kommunalkino City 46 stattfanden. Im letzten Jahr kam sein Film „Deckname Cor“ in die Kinos, in dessen Mittelpunkt der Jude Max Windmüller aus Emden steht, der in den Niederlanden unter der Besatzung durch die Nazis eine Widerstandsgruppe aufbaute, die die Flucht von vielen Verfolgten in die Freiheit ermöglichte. Mit diesen beiden Filmen hat er sein Thema und seinen Stil gefunden. Und so erzählt er auch in „Gibsy“ wieder die Lebensgeschichte eines im Dritten Reich Verfolgten aus der norddeutschen Region, der sich nicht ohne Widerstand in die Opferrolle drängen ließ, und er tut dies wieder in der Form eines sogenannten Dokudramas. Diese Mischform aus dokumentarischen und fiktiven Erzählstilen hat er hier sehr aufwendig und handwerklich souverän eingesetzt, wodurch sowohl ihre Vorzüge wie auch ihre Grenzen deutlich werden.

Johann „Rukeli“ Trollmann stammte aus einer Sintifamilie, die in der Region nahe Hannover herumreiste und in der Stadt regelmäßig ihr Winterquartier bezog. Als junger Mann zeigte er ein außergewöhnliches Talent für das Boxen. Seine Stärke waren dabei seine tänzerische Wendigkeit und Schnelligkeit. Sein unterhaltsamer und moderner Kampfstil (man kann ihn durchaus als einen Vorläufer von Muhammad Ali sehen) macht ihn zum Publikumsliebling und sicheren Gewinner. Doch leider war er ausgerechnet im Jahr 1933 auf seinem sportlichen Höhepunkt und kämpfte zu einer Zeit um die deutsche Meisterschaft im Halbschwergewicht, als die Sportorganisationen nach und nach von Nationalsozialisten übernommen wurden und diese keinen nicht arischen deutschen Meister haben wollten. So gewann er zwar seinen großen Titelkampf eindeutig, doch dieser wurde von den Punktrichtern als unentschieden gewertet. Aber das Publikum in der vollbesetzten Berliner Kampfarena war darüber so empört, dass unter seinem Druck die Entscheidung in einen Sieg für Rukeli geändert wurde. Wenig später wurde ihm von den Funktionären der Titel wieder aberkannt, und einen zweiten Titelkampf verlor er. Wohl auch, weil er diesen für eine äußerst mutige, aber nicht sehr umsichtige Demonstration nutzte.

Es muss ihn tief verletzt haben, dass er seinen Titel aus so offensichtlich unsportlichen Gründen nicht bekommen hatte, und so trat er bei diesem Kampf weiß gepudert und mit blond gefärbten Haaren in den Ring. Eine grandiose, für ihn aber fatale Geste, denn nach seiner folgenden (wohl eher unfair fabrizierten) Niederlage war seine sportliche Karriere beendet, und in den folgenden Jahren wurden er und seine Familie wie alle Sinti ausgegrenzt, verfolgt, eingesperrt und ermordet. Vom Tod Gipsys im Jahr 1943 gibt es zwei Versionen: eine offizielle und eine lediglich durch eine Zeugenaussage belegte, in der er einen letzten großen Kampf gewinnt und als Rache von dem Verlierer erschlagen wird. Dieser fast mythische, tragische Schluss klingt zwar ein wenig zu sehr nach Legende, doch natürlich inszeniert Besuden ihn (mit allen Einschränkungen) als sein großes Finale.

Eike Besuden hat inzwischen ein gutes Gefühl dafür entwickelt, die dokumentarischen Elemente möglichst nahtlos und reizvoll mit den Nachinszenierungen zu verweben. Und er versucht, das Archivmaterial optisch möglichst reizvoll zu präsentieren, indem er etwa Filmausschnitte aus jener Zeit auf eine Zeitungsseite kopiert, so dass es aussieht, als bewegte sich das Pressefoto. Als Zeitzeugen erzählen zwei Neffen von Trollmann von ihren Erlebnissen mit ihm, und im Laufe der Recherchen wurde eine als verschollen geltende Tochter von ihm aufgespürt, die sich zwar nur noch an die Augen ihres Vaters zu erinnern glaubt, aber davon erzählt, wie er sich von seiner arischen Frau trennte, als es für ihn als Sinti in Berlin immer gefährlicher wurde. Außerdem kommentieren fast wie ein griechischer Chorus immer wieder junge in Norddeutschland lebende Sinti die Lebensgeschichte von Trollmann, denn sie haben in einem Theaterprojekt ein Stück über ihn entwickelt und aufgeführt.

Von Trollmanns Mutter gibt es nur eine Fotografie und diese lässt Besuden mit der in gleicher Haltung stehende Hannelore Elsner verschmelzen, die die Rolle der starken und weisen Sinti-Mamma glaubwürdig und intensiv spielt. Besuden hat für sie einen dramaturgischen Rahmen geschaffen, indem er die Mutter nach dem Krieg einer jungen Frau, die sich von ihr die Karten legen lässt, die Geschichte ihres Sohnes erzählt. So kann sie immer wieder als eine der Erzählerinnen auftauchen, ohne dass dies den narrativen Fluss unterbricht. Hannes Wegener kann in der Titelrolle den jugendlichen Übermut und das Selbstbewusstsein einer ans Siegen gewohnten Sportlers vermitteln und auch in den wenigen Szenen, in denen er tatsächlich im Ring boxt, ist er zumindest glaubwürdig. Bei Eric Roßbander von der Bremer Shakespeare Company hat Besuden eine Art von künstlerischer Wiedergutmachung betrieben, denn während dieser in dem Bamberger-Film einen perfiden Nazi spielte, ist er hier als freundlicher Trainer und Förderer von Rukeli einer von den Guten.

Die Darsteller spielen gut, die Ausstattung wirkt authentisch, und dennoch sind die nachinszenierten Szenen nicht so überzeugend wie das dokumentarische Material. Sie entwickeln keinen eigenen erzählerischen Sog – illustrieren eher, als dass sie die emotionellen Tiefen der dargestellten Situationen deutlich machen. Vieles wird da zu ordentlich nachgebaut. So gibt es etwa eine Szene zwischen Trollmann und seiner Mutter, in der sie ihm mit vielen Sätzen deutlich macht, warum er nach ihrer Meinung nicht als Soldat für die Deutschen in den Krieg ziehen sollte. Das hätte Hannelore Elsner auch mit einem einzigen Blick ausdrücken können, aber Besuden will oder kann sich solche ästhetischen Freiheiten nicht erlauben.