„Sleepless Knights“ im Kino: Schafe leuchten in der Nacht

Bunt verkleidete alte Männer hüpfen herum, junge Männer kuscheln in Höhlen: „Sleepless Knights“ ist eine Liebesgeschichte ohne Konventionen.

Mögen sich ganz dolle: Juan und Carlos. Bild: Edition Salzgeber

So großartig beginnen im Kino nicht viele Liebesgeschichten: Ein junger Mann steht am Ufer eines Sees und pisst ins Wasser. Ein anderer junger Mann zieht sich aus und springt in den See, dem Urinstrahl hinterher. Eine Verbindung, die so anfängt, wird sich auch später nicht der Konvention ergeben.

Die beiden jungen Männer, Juan und Carlos, haben sich gerade kennengelernt. Juan ist als Polizist in einem Provinznest in der Extremadura stationiert, im Heimatdorf von Carlos, der eigentlich längst in Madrid wohnt und lediglich im Sommer im elterlichen Betrieb aushilft und eher kurz angebunden antwortet, wenn man ihn auf sein Leben in der Hauptstadt anspricht.

Im ausgedörrten, gelbbraunen südspanischen Sommer, zwischen flirrend leeren Dorfstraßen und auf verhärmte Art malerischen Mondlandschaften, entwickelt sich eine Beziehung, die nur aus einigen wenigen Blicken und Berührungen zu bestehen scheint, kaum aus Worten, erst recht nicht aus Verpflichtungen, Gewohnheiten, sozialer Routine.

Das echte Leben – was auch immer das nun so genau sein könnte – findet woanders statt: Über Radio und Fernsehen ist die jüngste, in Spanien besonders verheerende Wirtschaftskrise allgegenwärtig, aber was die Proteste in den Großstädten für diese beiden bedingt freigestellten Körper, für diese beiden halbgebundenen Drifter (Arbeit hat man noch, zu tun gibt es schon nichts mehr) bedeuten könnte, das behauptet „Sleepless Knights“ nicht zu wissen.

Höchstens verstärken die in den Film eindringenden Presseberichte ein Moment der Isoliertheit, der Unsicherheit: Die Beziehung von Juan und Carlos entwirft sich vor einem völlig offenen Horizont, ohne jede Vorstellung davon, was kommen könnte, wenn der dürre Sommer zu Ende gehen wird.

Eine andere Geschichte

Der bis in die einzelnen Einstellungen hinein fein gearbeitete Film von Stefan Butzmühlen und Cristina Diz biegt dann ohnehin recht – aber doch nicht ganz – unvermittelt ab, in eine andere Geschichte, in einen anderen, einen quasimythologischen Erzählmodus, der sich von Individuen löst, sich in weiten, zeitgreifenden Tableaus entfaltet. Bunt verkleidete alte Männer grillen da erst einen Fisch, befestigen dann Leuchtkörper an Schafen und treiben die Tiere anschließend des Nachts einen Hügel hinauf, in Richtung einer Burg.

Die Reinszenierung einer Episode aus den Maurenkriegen ist das, einer Legende zufolge hatte ein spanischer General arabischen Truppen mit diesem Trick eine Übermacht vorgespiegelt und sie in die Flucht geschlagen. In der Gegenwart ist die Burg von Anfang an leer, die vor ihr sich entfaltende Illusion Selbstzweck, ästhetischer Schein, ein Spezialeffekt.

Die langsam über die fast schwarze Leinwand gleitenden, mal aus der Gruppe ausscherenden, mal wieder in sie zurückfindenden, zunehmend unsicherer flackernden Lichtpunkte sind ein schönes Bild für diesen faszinierenden, kleinen, fast im Off des Betriebs, zumindest jenseits der geläufigen Fördersysteme entstandenen Film: Eine vorderhand statische, träge Situation wird in Bewegung versetzt, destabilisiert, mit einer Reihe von aufeinander bezogenen, einander aber auch einen gewissen Freiraum lassenden Erzählungen konfrontiert.

Der dominante Bewegungsmodus des Films ist der autonome tracking shot, die frei durch den Raum gleitende, mal souverän schwebende, mal hektisch am Boden entlangkriechende, aber nie an Figuren und deren Handeln gebundene Kamera. Kein eigentliches Ziel haben die Bewegungen, es genügt ihnen, sich neugierig umzuschauen in dieser unheimlichen Provinz, in dieser mit jedem Moment fremder werdenden Heimat; in einem Ort der untoten Mythen und des somnambulen Begehrens.

„Sleepless Knights“. Regie: Stefan Butzmühlen und Cristina Diz. Mit Raúl Godoy, Jaime Pedruelo u. a. Deutschland 2012, 85 Min.
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