Kaiser Nero kämpft gegen den reinrassig rasenden Roland

ZERSTÖRTE VIELFALT Die Schau „Erzwungenes Finale – Ende der Vorstellung“ erzählt vom subversiven Geist der 1920er Jahre und gemahnt an dessen brutales Ende

Mehr. Man sähe gerne so viel mehr von der verwuschelten, knabenhaften Elisabeth Bergner als ihr Antlitz auf dem Porträt (von 1924) im weißen Hemd mit Krawatte, das Kinn ein wenig gesenkt, den Blick ins Auge des Betrachters geschickt. Ein Blick, in dem so viel mehr an Geschichte zu liegen scheint, als die jungen Jahre der Kindsbraut vermuten lassen. Man sähe gerne mehr von Ernst Deutsch, weil schon das eine Bild des Protagonisten des expressionistischen Theaters so viel fiebrige Ekstase und nervöse Anspannung verrät, dass man neugierig wird.

Elisabeth Bergner und Ernst Deutsch sind zwei von dreißig Schauspielern, Regisseuren und Kabarettisten, an die im Willy-Brandt-Haus die kleine Ausstellung „Erzwungenes Finale – Ende der Vorstellung“ erinnert. Sie alle stehen für einen aufmüpfigen Aufbruch der Künste in den 20er Jahren, die Sprengung von Darstellungskonventionen, Verunsicherung in den identitären Zuschreibungen – aber auch für Witz und einen Esprit, der den 20er Jahren bis heute den Ruf des Schillernden verleiht.

Allen gemein ist, dass sie von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, ob ihrer Popularität oft mit erbittertem Hass. Davon erzählen die Texte von Volker Kühn unter jedem der 30 Porträts, die auch in einer begleitenden Broschüre nachzulesen sind. Ausstellung und Heft sind ein gemeinsames Projekt des Freundeskreises Willy-Brandt-Haus und des Förderkreises Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

Volker Kühn hat auch Film- und Tondokumente der Zeit gesammelt. Da hört man das Knistern der Zeit, spürt in der Fragilität der alten Bild- und Tonträger die Vergänglichkeit des Lebens. Wenn Ernst Busch Lieder aus Brechts Bettleroper singt, wenn seine Schauspielerkollegin Elisabeth Bergner erzählt, dass George Bernhardt Shaw für sie das Drama „Pygmalion“ schrieb oder wenn Tilla Durieux – auf dem Porträt mit großem Spitzenkragen im elisabethanischen Kostüm abgebildet – von den alles verändernden Telegrammen erzählt, die ihre Karriere beflügelten, dann berührt diese andere Diktion der Stimmen. Man glaubt, nicht nur jeweils den ganzen Charakter des Schauspielers mitzuhören, sondern auch, wie weit wir uns von diesen Gesten und Haltungen entfernt haben.

Die Ausstellung ist Teil des Themenjahres „Zerstörte Vielfalt“, das mit 500 für Berlin angekündigten Veranstaltungen auch etwas Furchterregendes hat. Man merkt aber in der Schau, wie das Interesse an einzelnen Personen, gerade auch die Begegnung mit Künstlern, von denen man bisher noch nichts wusste, den Wunsch, mehr zu erfahren, wieder anstachelt – mir ging es etwa so bei der Kabarettistin Annemarie Hase.

Unter Kühns gesammelten Tondokumenten ist auch ihr Lied „An allem sind die Juden schuld“, eine kabarettistische Glanznummer, die die Dummheit und jedem Nachdenken entzogene Argumentation des Antisemitismus karikierte, aber auch etwas seiner populistischen Inszenierung parodierte. Schmissig geht es los, die Musik von Friedrich Hollaender angelegt an Bizets „Carmen“. Ob nun „das Telefon besetzt ist, die Badewanne leckt, ob dein Einkommen falsch geschätzt ist, ob die Wurst nach Seife schmeckt“, listet sie wahllos Vorwürfe auf und antwortet: „An allem sind die Juden schuld. Wieso? Warum? Kind, das verstehst du nicht: Sie sind dran schuld.“

Annemarie Hase, die von 1900 bis 1971 lebte, war ein Star der damaligen Kabarettbühnen wie „Schall und Rauch“ und „Wilde Bühne“, sie arbeitete mit Autoren wie Kurt Tucholsky, Klabund und Joachim Ringelnatz. Als Jüdin erhielt sie ein Auftrittsverbot und emigrierte 1935 nach London. Volker Kühn schreibt im Text unter ihrem Porträt, dass sie auch im Exil Kabarett aufführte, welches etwa von der BBC ausgestrahlt wurde.

Sich so weiter inhaltlich engagieren zu können, gelang nicht vielen der Exilanten. Ernst Deutsch war unglücklich darüber, dass er in Hollywood vor allem Nazis zu verkörpern hatte, eine Unterforderung, aber auch eine Zumutung angesichts der eigenen Geschichte.

Paul Morgan gehörte zu den Kabarettisten, die schon Anfang der zwanziger Jahre im Berliner „Kabarett der Komiker“ ihre satirischen Pfeile auf Hitler abschossen: In einer Operettenparodie im römischen Kostüm trat er als Kaiser Nero auf, der sich über „RRRR“ empört, jenen „reinrassigen rasenden Roland mit Oberlippenbart, der die Welt neu ordnen will“, wie es in dem satirischen Stück heißt.

So setzt sich in der Ausstellung nach und nach tatsächlich ein Bild der Vielstimmigkeit des kulturellen Lebens im Deutschland der 20er Jahre zusammen, von vielen kleinen Bühnen und großen Theatern, auch von Spaß an der Kritik, von Wachsamkeit und Klugheit.

Und während man mehr und mehr erfährt, wird einem auch das Ausmaß der Vertreibung und Auslöschung wieder bewusst.

KATRIN BETTINA MÜLLER

■ „Erzwungenes Finale – Ende der Vorstellung“. Willy-Brandt-Haus, Di.–So. 12–18 Uhr (Ausweis erforderlich), bis 3. März