Chronist eben noch anhaltender Epochen

GLÜCKWUNSCH Der viel gerühmte Schriftsteller Friedrich Christian Delius wird heute 70 Jahre alt

Er stand ja nie in der ersten Reihe dieser Bewegung, aber er lernte sie gut kennen, und zwar deren größte Lautsprecher und -schreiber. Rudi Dutschke, Otto Schily, Wolfgang Neuss, natürlich – auch Horst Tomayer, Hans Christoph Buch. In einer Nische des selig bohemehaften Westberlin, beim Fußball. Da holzten und bolzten die Macker der Bewegung. Friedrich Christian Delius kickte mit. Ein schüchterner junger Mann, kein Star des Milieus, aufgewachsen als Spross einer evangelischen Pfarrersfamilie im Hessischen, der aber immerhin zweimal für Auswärtsspiele Dutschkes Stollenschuhe ausborgen durfte.

Das war, was den Rang als Prominenter der sogenannten Bewegung der Achtundsechziger anbetrifft, weder von Vor- noch Nachteil. Zählt man die Männer auf, die damals die öffentliche Arenen mit Verve kaperten, fehlt sein Name – und muss heute, mit dem Abstand von fast einem halben Jahrhundert, umso wahrhaftiger genannt werden, will man einen Chronisten jener Zeit, jener Nachkriegsstimmungen und Aufbausehnsüchte, nennen. Delius, der in Berlin Literaturwissenschaft bei Walter Höllerer studierte, später Lektor bei Wagenbach wurde, danach bei Rotbuch, nahm sich die Freiheit, die Heldengeschichten aus jenen Jahren und Milieus ein wenig anders zu erzählen. Am hitzigsten ging es beim Fußball zu, schrieb er auf, auf dem Grandplatz, wo jedes Foul, das zu einer Blessur führte, fast stolz getragen wurde wie eine Kriegsversehrung.

Delius hat Echolote über jene Ära verfasst; mit am stärksten vielleicht 1994 die Erzählung „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“, die schilderte, wie einer wie Delius 1954 sich sein Recht auf das Hören der Radioreportage vom WM-Endspiel erkämpfte – gegen die Innigkeitsstummheit eines Sonntags im Pfarrhaus. Delius hat etliche dieser genauen Beobachtungen zu Romanen, zu Büchern verarbeitet: ähnlich präzis wie im strikt Dokumentarischen des Walter Kempowski im Literarischen.

Delius’, mit dem Georg-Büchner-Preis vor zwei Jahren ausgezeichnet, hat obendrein eine der akkuratesten Muttergeschichten seiner Generation geschrieben, das war 2006 „Bildnis der Mutter als junge Frau“. Eine starke Mutmaßung darüber, wie seine eigene Mutter Rom, Geburtsort Delius’, den Gang durch die bildungsbürgerliche Landschaften erlebt haben könnte.

Heute wird dieser in Berlin schon lange beheimatete Schriftsteller 70 Jahre alt. Wir gratulieren. JAN FEDDERSEN