Blass und kahlrasiert im Schlabberpulli

FILM „3096 Tage“ erzählt die Geschichte Natascha Kampuschs, die von ihrem Entführer achteinhalb Jahre lang in einem Kellerverlies festgehalten wurde

„Viel weniger schlimm als erwartet“ – der Kritikertenor zum Film „3096 Tage“ über das Entführungsopfer Natascha Kampusch war einhellig. Und auch in Wien hatte der Weltpremiere-Galaabend in Anwesenheit Kampuschs sowie ihrer Eltern zu ehrerbietig-beredtem Schweigen geführt.

Aber was heißt das, wenn man es schlimmer erwartet hätte, dieses groß angekündigte Medienereignis? Was bedeutet es – um aus dem Presseheft zu zitieren –, wenn ein Film erzählen will, „was wirklich geschehen ist“ (Bürge 1: Bernd Eichinger, Drehbuchautor und Projektinitiator, viele Gespräche mit dem Opfer; Bürgin 2: Ruth Toma, Drehbuch, Recherche), in originalgetreuen „Eins-zu-eins-Kulissen“ (Bürge 3: Führerbunker-Konstrukteur Bernd Lepel, hier: das 6-Quadratmeter-Verlies), allerdings „behutsam“ und „ohne Effekthascherei“ (Bürgin 4: Regisseurin Sherry Hormann), aber doch in einem „ganz besonderen Look“ (Bürge 5: der an die Kamera zurückgekehrte Michael Ballhaus, Hormanns Ehemann)?

Was heißt es, wenn sich sehr passable, aber schlecht synchronisierte Schauspieler (die Britin Antonia Campbell-Hughes und der Däne Thure Lindhardt), um ihr Mitwirken zu legitimieren, ihre eigenen Gedanken machen müssen über die rätselhafte Psychodramaturgie dieser extremistischen „Zweierbeziehung“? Und was, dass die Darstellerin der kleinen Natascha, die zwölfjährige Amelia Pidgeon (kein Profi, dafür aber am überzeugendsten), auf die Frage, warum sie mitspielen wollte, wohl meinte: „Vielleicht werde ich auch mal entführt. Wenn es passiert, möchte ich wissen, wie man es schafft zu überleben.“?

Was bedeutet es schließlich zu erfahren, wie viel Überzeugungskraft die Produktion einsetzte, bis Kampusch „loslassen“ konnte; zu ahnen, wie viel Geld dabei im Spiel ist (man gönnt es ihr); oder zu hören, dass ihr die begleitende Mitarbeit an dem Filmereignis (versucht ist man schon zu sagen: ihre Komplizenschaft) zunächst schwerfiel, am Ende aber half, Ballast abzuwerfen?

Spielfilm als Therapie? Für wen? Zu wenige und doch zu viele Übersetzungsprozesse sind da in Gang. Die Kleinbürgerlichkeit Bayerns, wo der Film gedreht wurde, sieht um einen Tick anders aus als Wien und Umgebung. Ebenso die sanft geschminkte Blässe, die Kahlrasur oder die (durch Schlabberpullis betonte) Dürre der Teenage-Natascha. Ganz zu schweigen vom fehlenden sprachlichen Ambiente, den wildwüchsigen Österreichizismen der Psychopathologien und anderen Leidenschaften. Die Normalitäten und Abgründe des Zwischenmenschlichen, die da am Werk waren, blendet der Film aus, indem er alles bebildert, szenisch, vollständig – inklusive Sex (Achtung, Tabu, daher unter der Bettdecke).

„Später hat mir die Härte, die mir vor allem meine Mutter auferlegte, wahrscheinlich das Leben gerettet.“ Solche Sätze hätte man sich gewünscht, es gibt sie in Kampuschs Autobiografie, die für „3096 Tage“ Pate stand. Gesellschaftspolitisch relevante Sätze, so man willens ist, sich die ganze darin eingeschriebene Brutalität vor Augen zu halten, die darin liegt, eine traumatisierte junge Frau zur zentralen Figur allumfassender Aufklärung zu krönen – das Opfer als Profiler, Pathologe, Pädagoge, Analytiker, Sozialdiagnostiker, Medienkritiker, Filmstar.

Für diese Widersprüche der vielbeschworenen (gerade in Österreich allerdings verachteten) „Selbstermächtigung“ des Opfers interessiert sich der Film aber nicht. Er setzt auf einen anderen Satz Kampuschs: „Es war klar … nur einer von uns beiden würde überleben … und das war ich, letztendlich … und er nicht.“

Am Ende der Medien- und Produktionsschlacht rund um die „3096 Tage“ steht die Suche nach einem Grund, warum man sich das alles im Kino anschauen soll. Wie auch immer die Antworten lauten: Sie sind verlogen und ernüchternd. BARBARA WURM

■ „3096 Tage“, Regie: Sherry Hormann. Mit Antonia Campbell-Hughes, Thure Lindhardt u. v. a. D 2013; 111 Minuten