Jagdszenen aus Nordengland

MAKABER In „Sightseers“ von Ben Wheatley macht sich ein Paar wird im Wohnwagen auf eine Reise zu den Touristenattraktionen Nordenglands und lässt dabei eine Spur von brutal ermordeten Opfern hinter sich. Dabei ist der Kitsch oft grauslicher als das Blut

VON WILFRIED HIPPEN

Es soll eine perfekte kleine Campingtour werden. Chris hat alles genau geplant und Tina ist begierig darauf, endlich einmal von ihrer ewig quengelnden Mutter wegzukommen. Sie hat extra für ihn Reizwäsche gehäkelt und er freut sich auf solche Touristenattraktionen wie das Bleistiftmuseum von Keswick, die Blue John Tropfsteinhöhle und den Straßenbahn-Vergnügungspark von Crich. Dort fahren die beiden mit leuchtenden Augen in einer alten Tram durchs Gelände, bis ein paar Reihen vor ihnen ein Tourist achtlos ein Stück Papier auf den Boden wirft. Da sträubt sich der rote Vollbart des auf den ersten Blick so gemütlich wirkenden Chris und sein wilder Blick auf den Umweltsünder lässt das Schlimmste befürchten. Tatsächlich endet dieser schnell unter den Rädern des Campinganhängers und mit viel spritzendem Filmblut macht der Regisseur Ben Wheatley deutlich, wie die wirklichen Attraktionen dieser Reise durch die Landschaften Nordenglands aussehen werden.

Tina leidet nach dem grotesken Unfalltod ihres Hundes (der in einer für Tierfreunde verstörenden Rückblende zelebriert wird) an Depressionen, die durch den rüden Ton ihre dominanten Mutter noch verstärkt werden. Der arbeitslose Chris sieht sich als kommenden Schriftsteller und erklärt Tina zu seiner Muse, doch nachdem sie auf dem Campingplatz einen realen Autoren kennenlernen, der sie sehr herablassend behandelt und sich über ihren schlechten Geschmack lustig macht, segelt dieser bald in einen Abgrund und die beiden erkennen, wozu sie sich gegenseitig tatsächlich inspirieren.

Komisch wirkt dies eine Zeitlang durch die Selbstverständlichkeit, mit der sie bald jeden aus dem Weg räumen, der sie stört. Da bereitet das Blut am Wohnwagen ihnen mehr Kummer als die Taten selber und auch, dass sie bald übers Radio gesucht werden („Die Polizei fahndet nach einem Mann mit rotem Bart und seiner wütenden Begleiterin.“), scheint für sie nur eine kleine Irritation zu sein, durch die sie sich den Urlaub nicht verderben lassen. So wird hier das beliebte Genre-Motiv vom Killerpärchen auf der Flucht mit einem Paar spießigen britischen Kleinbürgern durchgespielt.

Die britischen TV-Comedians Alice Lowe und Steve Oram haben die beiden Charaktere Tina und Chris seit Jahren entwickelt und dabei ihre Ticks bis ins Absurde getrieben. Viele Szenen sind improvisiert und das neue Wunderkind des britischen Kinos Ben Wheatley (der vor zwei Jahren in „Kill List“ ähnlich makaber Gewalt inszenierte) bietet ihnen mit seiner naturalistischen Kamera einen passenden Rahmen dafür. Leider hielt er sich aber auch zu sehr an ihr Drehbuch, dessen für das Fernsehformat typische Episodenform im Kino nicht funktioniert. So wird „Sightseers“ von der Mitte an zu vorhersehbar und dies versuchen die Filmemacher nun wiederum durch eine Steigerungsdramaturgie zu kaschieren. Die Anlässe zum Morden werden immer nichtiger und die Taten immer kaltschnäuziger in Szene gesetzt. Dadurch verliert der Film viel von seinem Witz und der Zuschauer verliert das Interesse an den Protagonisten. Und so zielt das grandios kitschig mit „The Power of Love“ von „Frankie goes to Hollywood“ orchestrierte Finale ins Leere und die boshafte Schlusspointe wirkt verschenkt. Am schönsten war es im Bleistiftmuseum.