Ödipales Drama: Die Poesie verschlingt den Thriller

Anna Viebrock, Bühnenbildnerin und Regisseurin, inszeniert in Köln „Gabe/Gift“ von Händl Klaus. Finster und unheimlich ist die Geschichte.

Die Familie ist dabei, einen „Erfrischungsraum“ im Keller zu bauen – Szene aus „Gabe/Gift“. Bild: Walter Mair

Vielleicht gelingen der Bühnenbildnerin Anna Viebrock ihre schönsten Theaterräume, wenn sie selbst auch für die Regie und Kostüme eines Abends zuständig ist. Am Schauspiel Köln, bei der Uraufführung von „Gabe/Gift“, dem neuen Stück des gebürtigen Österreichers Händl Klaus, hat Anna Viebrock jedenfalls wieder ganze Arbeit geleistet. Finstere Arbeit, muss man sagen.

Das Stück spielt im Haus von Familie Müllert. Dieser ödipal verkorkste Bund aus Mutter, Vater, Sohn und Schwiegertochter ist dabei, seinen Keller zu einem „Erfrischungsraum“ umzubauen. Viebrock versieht diese seltsame Brutstätte mit lauter kleinen Zeichen des Unheimlichen: Es dominieren kahle, unfertig weiß gestrichene Wände, beige Steinbodenfliesen, die noch nicht zu Ende verlegt sind, im Hintergrund steht wie ein Menetekel latenter Gewalt ein Pickel. Am rechten Bühnenrand geht es einen düsteren, schmuddelig aussehenden Abgang zu einem weiteren, nicht einsehbaren Raum hinab.

Das böse „Haus Ur“ des Künstlers Gregor Schneider kommt einem in den Sinn oder von Mördern und Verbrechern geschaffene Verliese, wie wir sie aus der jüngsten österreichischen Kriminalgeschichte kennen. Aber Händl Klaus schreibt keine psychologischen Realodramen. Er spinnt feine Sprachkunst-Stücke, die zwar oft auf einer Kriminalhandlung fußen, aber doch in himmelweit von einem Krimi entfernten Sphären spielen.

Den Vater aus dem Weg räumen

In „Gabe/Gift“ geht es einerseits um die Absicht der Hausfrau und Mutter Lore Müllert (Marion Breckwoldt), zusammen mit ihrem Sohn (Nikolaus Benda) den Vater Müllert (Josef Ostendorf), einen seltsam lahm gewordenen Polizisten, aus dem Weg zu räumen. Doch der Sohn, ein Landschaftsgärtner, schafft das nicht, weil der Vater ihn mit seiner Liebe buchstäblich erdrückt: sehr komisch, wie sich der füllige Ostendorf auf dem sportlich ranken jungen Benda wälzt.

Der zweite Handlungsstrang dreht sich um eine ominöse kleine Metallkiste unbekannten Inhalts, jene mehrdeutige „Gabe“, das „Gift“ aus dem Stücktitel. Ein ortsfremdes Paar taucht auf (Renato Schuch und Jennifer Frank) und zückt einen Plan, der alle zu der Stelle führt, wo die Kiste vergraben sein soll. Eifrig schwingt man den Pickel – mit Erfolg. Doch ein neidisch-böses Grüppchen von Nachbarn überrascht das Paar und die Müllerts – sie wollen auch etwas abhaben von der Beute.

Doch die zwei Geschichten treten immer wieder in den Hintergrund zugunsten der feingliedrigen Spracharchitektur des Stücks. „Gabe/Gift“ enthält kaum Repliken, die länger als ein Satz sind, häufig bestehen sie sogar aus einzelnen Wörtern. Jede Replik ist ein Mosaiksteinchen. Wenn die Figuren miteinander sprechen, entwickelt sich der Sinn ihrer Äußerungen also erst allmählich. Man kann aufgrund dieses Sprachbauplans auch gar nicht sagen, welcher Figur welche Absicht zuzuordnen wäre. Alle sind gleichermaßen in einen kleinbürgerlichen Familienkomplex aus Gier und Verstellung verstrickt.

Konzert für Worte und E-Piano

Klaus’ minimalistische Poetik macht die Aufführung zunächst zu einem hermetisch wirkenden Wortkonzert. Die Livemusik trägt viel dazu bei. Viebrocks Stammkomponist Ernst Surberg spielt auf einem E-Piano zusammen mit Simon Strasser menuetthafte Stücke im Klangspektrum Neuer Musik. Die Musik ist integraler Bestandteil des Abends, man hört sich in seinem Verlauf tatsächlich in das Partiturhafte des Abends ein, der immer dichter wird, je mehr sich das Bühnengeschehen um den Beutefund zuspitzt.

Doch dem Autor geht es nicht um einen dramatischen Höhepunkt. Im Gegenteil, zum Ende hin sind alle erschöpft von ihrer Schatzgier. Die Freude über den Fund kippt um in körperliche Schwäche und geistige Orientierungslosigkeit. Die Kiste ist nicht zu öffnen, bleibt „ein Geheimnis“.

Zum Schluss ist die Bühne ist leer. Unverändert hell, und doch dunkel in seiner Wirkung, strahlt der Raum. Die letzten Wörter kommen einzeln aus dem Off. Es sind die gestammelten, zerdehnten, kaum noch kenntlichen Laute (vielleicht) des Wiegenlieds „La – le – lu“. Kein gefälliger, am Ende sehr überzeugender Abend.

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