Gemischte Vorspeise

POPDISKURS „Testcard“-Ausgabe zum Fleisch

Tot oder lebendig, Fleisch ist allgegenwärtig. Es begegnet uns im Supermarkt, auf dem Teller, im Bett und in den Medien.

In der aktuellen Ausgabe des im Ventilverlag erscheinenden Popmagazins Testcard beleuchten 27 Texte Fleisch kulturell fundiert. Statt durchgekaute Vegetarismusdebatten wiederaufzugreifen, werden vielschichtige Betrachtungsweisen zugelassen. Dabei behalten die AutorInnen die wichtigsten Fleischdebatten der letzten Jahrzehnte im Blick: Jonathan Safran Foers Essay „Tiere essen“, das freizügige Peta-Marketing oder Lady Gagas Fleischkleid, ja selbst Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ wird auseinandergenommen.

Aufgeteilt nach Kategorien wie Gemeinschaft/Gebote oder Verzicht/Schwund werden Zusammenhänge zwischen Konsum und Gender kritisch hinterfragt. Dass Fleisch nicht gleich Fleisch ist, wird bereits im Vorwort klargestellt. Behandelt wird es sowohl im Lichte der Ernährung als auch hinsichtlich der Körperlichkeit. Der eigene Leib kann durch Modifikation verformt, durch die Gesellschaft sexualisiert, durch den falschen Umgang zerstört und schließlich verwertet werden, um nicht zu sagen verspeist. Auf lange Sicht bleibt wohl der Kannibalismus nicht aus. Inwieweit lässt er sich mit dem Kapitalismus und der Krise verknüpfen?

Für die einen symbolisiert Fleisch Macht, für die anderen Lust und für wieder andere Verwesung. So dokumentierten die Künstlerin Alexandra Augustin und der Fotograf Klaus Pichler den Verfall von Lebensmitteln, sie hielten die große Fäulnis auf Bildern fest und wochenlang den Verwesungsgestank aus.

Geschichtlich widmen sich Jonas Engelmann und Jelena Kleißler den popmusikalischen Referenzen von Fleisch, während Lukasz Nieradzik die Tierschlachtung und Fleischproduktion im Wien des 19. Jahrhunderts untersucht.

Zudem wird auf die Problematik des Tierrechts am Beispiel von Antispeziesismus hingewiesen. Wie viel Legalität steht nichtmenschlichen Lebewesen zu, wenn sie doch ganz anders gestrickt sind?

Aspekte und Widersprüche des Fleischdiskurses wurden unter Weglassung der Moralkeule gesammelt und reflektiert. Bereits das Cover ist paradox: Eine fleischrosa Wurstscheibe, auf der das Cover des The-Smiths-Albums „Meat Is Murder“ abgebildet ist, liegt inmitten eines bunten Gemüseberges.

Im Zeitalter neuer Lebensmittelskandale im Monatstakt ist die aktuelle Testcard-Ausgabe eine Bereicherung. Wie bei einer gemischten Vorspeisenplatte: für jede und jeden ist was dabei – und sei es nur etwas Salat.

HENGAME YAGHOOBIFARAH

www.testcard.de