„Fast wäre ich Bergarbeiter geworden“

BESTSELLER Der indonesische Schriftsteller Andrea Hirata über die Entstehung seines Debütromans „Die Regenbogentruppe“, gewaltiges Leserecho und den Einfluss von Bildung auf sein Leben

Andrea Hirata wurde 1984 auf der Insel Belitung geboren. Durch das Engagement zweier Lehrer konnte er in seinem Heimatdorf eine Grundschule besuchen. Er schaffte es auf eine weiterführende Schule, an die Universität und studierte schließlich in Paris und in Sheffield. In seinem autobiografischen Roman „Die Regenbogentruppe“ erzählt er von seiner Schulzeit: von der Freude am Lernen, von seinen Klassenkameraden und von der ersten Liebe. Der Roman wurde in Indonesien zum Bestseller. Nun ist er auch auf Deutsch erschienen.

INTERVIEW KATHARINA BORCHARDT

taz: Ihr Roman „Die Regenbogentruppe“ hat sich allein in Indonesien fünf Millionen Mal verkauft. Man sagt, er sei das erfolgreichste indonesische Buch aller Zeiten. Wieso hatte das Buch so einen Erfolg?

Andrea Hirata: Mein Buch ist sicherlich so erfolgreich geworden, weil ich eine exemplarische Geschichte geschrieben habe. Viele Leser konnten sich mit meiner Hauptfigur Ikal und seinen Freunden identifizieren. Uns beschäftigen ja alle dieselben Themen: Kindheit, Familie und Bildung.

Haben Sie auch viele Reaktionen auf das Buch bekommen?

Oh ja! Ich habe über hunderttausend Briefe, Mails und SMS bekommen. Die meisten Leute haben mir geschrieben, wie sehr sie das Buch berührt hat. Aber ich habe auch kritische Rückmeldungen bekommen.

Zum Beispiel?

Manche Leser fanden das Buch langweilig. Manche haben mir auch geschrieben, es sei kein literarisches Werk, weil es stark autobiographisch ist.

Und diejenigen, die das Buch mögen: Gefällt es ihnen, weil sie so engagiert über die Freude am Lernen und den Wert von Bildung schreiben?

Ja, manche schöpfen Kraft aus der Geschichte dieses Jungen, der die Chance bekommt, eine Schule zu besuchen. Andere mögen wiederum, dass ich das Buch auf so schlichte und ehrliche Weise geschrieben habe. Es ist ja keine komplizierte, sondern eine ganz einfache Geschichte.

Zunächst hatten Sie gar nicht vor, das Buch zu publizieren, oder?

Ich habe den Roman 2005 geschrieben, und er war einfach ein Geschenk an meine früheren Lehrer – die Hauptfiguren in dieser Geschichte. Ich wollte damit meiner Dankbarkeit Ausdruck verleihen, dass sie mich unterrichtet haben.

Wie gelangte das Manuskript zu einem Verlag?

Irgendjemand hat eine der ersten zehn Kopien genommen und sie an einen Verleger geschickt, der das Buch tatsächlich drucken lassen wollte. Für die Allgemeinheit musste ich die Geschichte aber nochmal kräftig überarbeiten. Die Überarbeitung hat sieben Monate gedauert.

Und Sie wissen nicht, wer die Kopie weitergegeben hat?

Nein. Wahrscheinlich war es ein damaliger Arbeitskollege von mir, aber so genau weiß ich das bis heute nicht.

Und jetzt wird Ihr Buch in 25 Sprachen übersetzt.

Es wird zum Beispiel in Ungarn, Spanien, Portugal, in den Niederlanden und den USA publiziert. Ich bin wirklich ein Glückspilz!

Und Ihre Heimatinsel Belitung ist auf einmal weltberühmt.

Ja, aber das liegt auch daran, dass Riri Riza den Roman 2008 fürs Kino verfilmt hat. Der Film ist toll, und er wurde 2009 sogar auf der Berlinale gezeigt. In dem Film konnte man auch die Strände von Belitung und die Vielfalt der dort ansässigen Kulturen sehen. Deshalb kommen nun auch viel mehr Touristen zu uns als vorher. Das ist wichtig für uns, denn das Leben auf Belitung ist bis heute sehr hart. Viele arbeiten ja noch immer im Zinnbergbau, doch der Weltmarktpreis für Zinn schwankt. Darauf können wir unsere Zukunft nicht bauen.

Und der Tourismus ersetzt den Zinnabbau nach und nach?

Ja, total! Es arbeiten immer mehr Menschen im Tourismusbereich. Zum Beispiel die Souvenirverkäufer, die Taxifahrer, die Fremdenführer und die Inhaber von Reisebüros. Und auch die Bootsführer. Es gibt ja mindestens 180 kleinere Inseln um Belitung herum, und da wollen manche Touristen auch gerne hin. Indonesien ist ein an Bodenschätzen reiches Land. Es gibt dort viel Öl, Erdgas, Zinn und Kupfer.

Das meiste Zinn wird in Ihrer Heimatregion Bangka-Belitung abgebaut. Sie erwähnen dies auch immer wieder in Ihrem Roman. Was hat der Zinnabbau, mit dem einst die Holländer begonnen haben, der Insel gebracht? Und was hat er zerstört?

Es ist ein Dilemma: Einerseits haben wir Bodenschätze, die das Land reich machen. Gleichzeitig ist der Boden aufgrund des hohen Zinngehaltes für die Landwirtschaft kaum zu gebrauchen. Reis und Gemüse wachsen bei uns nur schlecht. Hinzu kommen gravierende Umweltprobleme durch den Bergbau, auch wenn das Zinn heute viel schonender abgebaut wird als früher.

Kommt der schonende Abbau überhaupt den Arbeitern zugute?

Es wird inzwischen mehr auf das Wohl der Arbeiter geachtet als früher. Firmen investieren sogar in die Schulbildung der Arbeiterkinder. Das war in meiner Kindheit in den Achtzigern und Neunzigern noch nicht der Fall. Davon erzähle ich ja auch in meinem Buch.

Was wäre eigentlich aus Ihnen geworden, wenn Ihre Lehrer sich nicht so für Sie und Ihre Klassenkameraden eingesetzt hätten?

Dann wäre ich ganz sicher Bergarbeiter geworden. Wie mein Vater. Und wie der Vater meines Vaters. Und wie der Großvater meines Vaters.

Die Schule hat Ihr Leben also komplett umgekrempelt?

Ja, Bildung hatte allergrößten Einfluss auf mein Leben.

„Die indonesische Buchhandelssituation hat sich stark entwickelt. Es gibt inzwischen Buchläden im ganzen Land! Deshalb dürfen Sie auch nicht überrascht sein, dass sich mein Buch fünf Millionen Mal verkauft hat.“ ANDREA HIRATA

Wie kam Ihr Buch, nachdem es gedruckt war, eigentlich in die indonesischen Buchläden? Indonesien besteht immerhin aus vielen Inseln. Gibt es ein gut funktionierendes Netz im Land, um Bücher zu verbreiten?

Die indonesische Verlagslandschaft und Buchhandelssituation hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt. Es gibt inzwischen Buchläden im ganzen Land! Deshalb dürfen Sie auch nicht überrascht sein, dass sich mein Buch fünf Millionen Mal verkauft hat. Es gibt ja auch, soweit ich weiß, mittlerweile fast 260 Millionen Indonesier. Zum einen leben bei uns sehr viele junge Leute, und die sind sehr lernbegierig, zum anderen ist die indonesische Wirtschaft allein im letzten Jahr um knapp 7 Prozent gewachsen. Sie ist die am schnellsten wachsende Wirtschaft in der Region. Parallel dazu nimmt natürlich auch das Interesse am Lesen zu. Deshalb konnte sich auch unser Buchhandel so enorm entwickeln. Man kann bei uns Bücher in Buchläden kaufen oder online ordern. Außerdem gibt es viele Straßenverkäufer, die Bücher anbieten.

Gibt es in Ihrem Heimatdorf inzwischen auch einen Buchladen?

In der Provinzhauptstadt Tanjung Pandan gibt es eine Buchhandlung, aber bei uns auf dem Land leider noch nicht. Aber die wird es bestimmt auch bald geben.

Sie sind nach Ihrem Studium in Paris und Sheffield nach Belitung zurückgekehrt. Hatten Sie keine Lust, in Europa zu bleiben?

Ich habe genug studiert. Jetzt ist es Zeit, selbst etwas beizutragen. Ich führe nun zum Beispiel eine eigene Schule für arme Kinder in meinem Heimatdorf. Und ich habe ein Literaturmuseum eingerichtet, das gleichzeitig ein Lernzentrum ist. Das Ganze bringt mir finanziell nichts ein, aber es ist mein Beitrag zur Alphabetisierung und Bildung in meiner Heimat. Ich habe momentan 19 Schüler, und jetzt, da ich in Deutschland bin, vermisse ich sie sehr!

Sie sind sozial sehr aktiv. Wird „Die Regenbogentruppe“ deshalb Ihr einziges Buch bleiben?

Ich habe schon neue Ideen, doch momentan beschäftige ich mich vor allem mit den Übersetzungen der „Regenbogentruppe“. Ich kommuniziere viel mit den Herausgebern und den Übersetzern. In diesem Jahr habe ich damit noch viel zu tun. Aber nächstes Jahr möchte ich mit einem neuen Roman beginnen.

Wird es wieder eine autobiographisch inspirierte Geschichte werden?

Ja, ich schreibe am liebsten über Dinge, die ich selbst erlebt habe.

■ Andrea Hirata: „Die Regenbogentruppe“. Aus dem Indonesischen von Peter Sternagel. Hanser Berlin, Berlin 2013, 272 Seiten, 19,90 Euro