Täuschende Gefälligkeit

SOLOSCHAU Schön ist Kunst nicht zu haben. Das zeigt die Einzelausstellung der US-Künstlerin Pae White in der Langen Foundation in Neuss, wenn auch eher unfreiwillig

Die Kalifornierin Pae White nutzt das riesige Format eines Wandteppichs: nicht als Dekoration, sondern als Ausdruck politischen Protests

VON MARKUS WECKESSER

Der Wandteppich im Riesenformat ist zurück. Nicht als spießiges Dekostück im Wohnraum, sondern in der bildenden Kunst. Bereits die letztjährige Documenta brachte die alte Webtechnik eindrucksvoll als Medium des politischen Protests in Erinnerung. Eine Ausstellung in der Langen Foundation in Neuss stellt neben Mobiles und weiteren Arbeiten nun zwölf Tapisserien der in Los Angeles lebenden Künstlerin Pae White vor.

Ornamentale Schleifen

Angesichts von Dimensionen bis zu acht Metern Höhe schrumpft der Besucher gleichsam auf die Größe eines Kindes, das sich im Möbelgeschäft staunend zwischen der an Leisten aufgespannten Ware verliert. Während die vier Einzelteile von „Crossed Moonlight“ ein Kabinett andeuten, bilden die frei im Raum hängenden Arbeiten Sichtachsen, die den Blick auf die jeweils anderen Werke lenken. Als Vorlage für die großformatigen Bilder nutzte die 1963 im kalifornischen Pasadena geborene Künstlerin Fotografien von Zigarettenrauch, der sich verführerisch in ornamentalen Schleifen kringelt, und digital kompilierte Fundstücke aus ihrem Atelier.

Ganz in der Tradition der Pop Art veredelte sie zerknülltes Stanniolpapier, Fruchtkerne, Konfetti und Zeitungsschnipsel zu künstlerischen Artefakten. Denn alles hat für Pae White in der Welt das Potenzial zum Kunstwerk. Sofern es den Betrachter berührt, kann das milchiges Badewasser sein, Popcorn aus Porzellan oder eine Tierskulptur, die als Gartengrill Verwendung findet.

In Deutschland wurde die crossmedial arbeitende Künstlerin durch ihre raumgreifenden Mobiles bekannt. Bislang waren im Rahmen von Gruppenausstellungen immer nur einzelne Arbeiten zu sehen. Für ihre erste institutionelle Soloschau in Europa steht der Künstlerin nun ein kompletter Raum für ihre fragilen Werke zur Verfügung, was ungleich mehr beeindruckt.

Hunderte von rautenförmigen oder sechseckigen Schnitzeln, die mit überlappenden Lagen von farbigem Paper beklebt sind, sind an langen roten Fäden aufgereiht und fügen sich zu Zylindern, Polyedern und Quadern, zu quasi dreidimensionalen Kaleidoskopen. Trotz ihres Volumens, ihrer Dichte und Größe wirken die schwebenden Gebilde leicht und spielerisch, poetisch und anmutig.

Dank der Raumzirkulation bewegen sie sich minimal und werfen flirrende Schatten auf Boden und Wände. Die Arbeit „In Love with Tomorrow“ potenziert den Effekt durch Spiegel auf der Oberseite der farbigen Schnitzel. Einerseits spiegeln sich darin die Unterseiten der oberen sowie die langen Fäden, andererseits das Licht der Deckenstrahler und schließlich der Betrachter selbst, wenn er vor dem Mobile steht. Zugleich werfen die kleinen Spiegel Reflexionen an die Wand, sodass sich ein Gewimmel von weißen Lichtflecken über die Fläche bewegt. Diese traumartige Atmosphäre wird verstärkt durch das leise und monotone Rauschen der Belüftungsanlage.

Das ästhetische Gegenprogramm zu den Mobiles bilden Pae Whites Couch-Skulpturen, die einem Haufen Sperrmüll gleichen, der mit vom Schnee durchweichten Teppichen zugedeckt ist. Erst der Blick auf die als Motive verwendeten Zeitungsseiten erklärt, warum die Möbel so unansehnlich sind: Sie berichten von Krieg, Börsenkursen, Jugendkriminalität und religiösem Fanatismus, also von unbequemen Themen, die weder ein Wegschauen noch ein Ausruhen erlauben. Gemeinerweise sind die Sofas sehr komfortabel und werden eifrig von den Besuchern genutzt. Überhaupt täuscht die optische Gefälligkeit von Pae Whites Arbeiten leicht über deren Komplexität hinweg.

Zwei Vitrinen mit architektonischen Modellen und Objekten erinnern an einige frühere Projekte. Warum der „Fliegende Teppich“ für das Kunst am Bau-Programm des neuen Berliner Großflughafens keine Erwähnung findet, ist rätselhaft. Immerhin wurde die Deckeninstallation aus roten Aluminiumbändern fristgerecht realisiert. Überhaupt scheint die Auswahl willkürlich und bleibt ohne ergänzende Informationen eher unverständlich. Eine Schachtel mit Tacos entstand jedenfalls für die Skulptur Projekte 2007 in Münster. Mit der Ausfertigung des für Los Angeles typischen Snacks (gefüllte Teigtaschen) in Marzipan und dem Transfer nach Westfalen stellte Pae White humorvoll kulturelle Identität zur Disposition. Für Schauwerte rein um der Schönheit willen ist ihre Kunst eben nicht zu haben.

■ Bis 7. Juli, Langen Foundation, Neuss