Auch Heino taugt fürs Feuilleton

AUFTRAGSARBEIT Georg Klein versammelt in „Schund und Segen“, wie er sagt, „abverlangte“ Texte fürs Feuilleton. Der Schriftsteller zeigt sich darin als denkendes, mitfühlendes, künstlerisches Subjekt auf Augenhöhe mit seinem Gegenstand

Das Buch verrät in kondensierter Form die poetologischen Grundlagen von Kleins eigenem Schreiben

VON ULRICH RÜDENAUER

Georg Klein war ein fertiger Autor, als 1998 sein erstes Buch erschien. Sein Debüt mit 45 Jahren verwunderte umso mehr, als in jener Zeit geradezu ein Jugendwahn ausgebrochen war – jeder Mittzwanziger, der einen Stift halten konnte, wurde damals von den Verlagen unter Vertrag genommen. Georg Klein hatte sich lange Zeit erfolglos um eine Veröffentlichung bemüht und lediglich für die Schublade geschrieben.

Und dann das: Sein Erstling war ein Staunen machendes, labyrinthisches Wesen, das sich zwar klassischerweise Roman nannte, aber vielmehr ein Bastard aus verschiedenen Genres darstellte, ein fantasiestrotzendes Agenten-Politik-Science-Fiction-Großstadt-Puzzle, in dem sich passgenau ein Teil ins andere fügte, ohne dass man am Ende hätte sagen können, was dieses Konstrukt eigentlich genau zusammenhält. Man wusste es dann aber doch: Die Stadtlandschaft in „Libidissi“, die einem lebenden Organismus glich, war eben ein schillerndes Gebilde aus Worten und Georg Klein ein filigraner Wortmetz, der sich jahrzehntelang als Leser in den Höhen und Niederungen der Literatur getummelt haben musste und daran sein eigenes Handwerkszeug schärfen konnte.

Einen Einblick in den geradezu unersättlichen, teils nicht sehr gourmethaften Lese-und Kunsthunger Georg Kleins konnte man im Lauf der letzten 15 Jahre bekommen, wenn man seine Feuilletonartikel las, die in unterschiedlichen Zeitungen und zu verschiedensten Themen erschienen sind. Im Gegensatz zu vielen anderen zeitgenössischen Autoren nutzt Klein nämlich immer wieder das Privileg, als hochgelobter Autor von den Kulturredakteuren umworben und um Artikel gebeten zu werden. 77 dieser „abverlangten Texte“ sind nun gesammelt in einem Band erschienen, der den für Kleins gesamtes Oeuvre durchaus charakteristischen Titel „Schund und Segen“ trägt.

Erotische Anziehungskraft

Dieses Buch ist zwar ein Neben- und Zwischenwerk, bevor im Herbst ein neuer Roman von Georg Klein erscheinen wird. Es ist aber doch mehr als das, weil es in kondensierter Form und in der Auseinandersetzung mit anderen Künstlern etwas über die poetologischen Grundlagen von Kleins eigenem Schreiben verrät. So beginnt ein Artikel ausgerechnet über ein Computerspiel – denn Klein hat einen erfreulich weiten Kulturbegriff – mit einem Absatz, der auch direkt etwas über sein Buch „Libidissi“ und die erotische Anziehungskraft von künstlichen Welten zu offenbaren scheint: „Eine Stadt und ein Roman sind erst wirklich groß, wenn sie uns verleiten, in ihnen verloren zu gehen. Beide Verführer, die wahre Metropole und ein Prosatext, der die Bezeichnung Roman verdient, appellieren mit Erfolg an das Verlangen unseres Bewusstseins, von einem größeren System vereinnahmt zu werden. Dabei weiß unser Begehren sehr wohl, dass das Labyrinth, das uns verschlingt, gebaut ist. Die Künstlichkeit des Systems ist sogar ein notwendiges Ingrediens der Faszination, die es ausstrahlt.“

Nicht nur in jedem künstlerischen Text, auch in jedem Text zur Kunst könnte ein Stück Welt und damit auch Artistik stecken. Man vergisst das leicht. Und vielleicht braucht es zuweilen medienfernere Autoren im Feuilleton, die einen daran erinnern. Denn zum Privileg, auf den Kulturseiten gefragt zu sein, kommt bei einem Schriftsteller wie Georg Klein noch ein anderes hinzu: Er muss sich zwar an die vorgegebenen journalistischen Formate halten, aber innerhalb dieser hat er eine immense Narrenfreiheit. Oder sagen wir lieber: Er nimmt sie sich einfach.

Konventionen, denen man als gewöhnlicher Lohnarbeiter am Fließband des Rezensionsbetriebs verpflichtet ist oder denen man sich verpflichtet glaubt, hält Klein selten ein. Zwar geht er einigermaßen sparsam mit dem im Journalismus tabuisierten, scheinbar die Trennlinie zwischen objektivierendem Beurteilungsgestus und subjektivem Befindlichkeitsgeschreibe markierenden Personalpronomen „Ich“ um. Aber selbst wenn es nicht explizit auftaucht, ist in seinen Texten doch immer eines wahrnehmbar: Hier spricht ein denkendes, mitfühlendes, künstlerisches Subjekt, oftmals auf Augenhöhe mit seinem Gegenstand.

Selbst die Biene Maja

Und wenn die Kulturerzeugnisse, denen sich Klein widmet, ihm nur bis zur Brust reichen, dann schaut er nicht auf sie herab, sondern duckt sich ein wenig, um erkennen zu können, was sie uns mitteilen wollen. Selbst der Biene Maja und ihren Insektenfreunden begegnet er so auf Grashalmhöhe. Klein kann – erkenntnisfördernd, genau, zuweilen auch zupackend, meist aber mit leichter Hand – über den Tourneeauftakt Udo Lindenbergs ebenso schreiben wie über den Tod Stanislaw Lems, über Stephen King und David Lynch, über „Josefine Mutzenbacher“ und Kafkas „Verwandlung“.

Ja, sogar über Heino, dessen Stimme er als jene der problematisch gewordenen Heimat identifiziert. Er nimmt diesen umstrittenen Sänger ernst, gerade weil er einen intellektuellen Abstand provoziert, der wiederum nur mit einem gewissen (Mit-)Gefühlsüberschwang erklärt, wenngleich nicht überwunden werden kann.

Vielleicht ist dieses Pathos, das an Begriffen wie Heimat, Deutschsein, Körper und Leib klebt, zuweilen in Kleins Texten ein wenig aufdringlich. Verdienstvoll ist es gleichwohl, dass er sich diesen Begriffsfeldern nähert, die Scham, die dazugehört, immer mitreflektierend. Dass er dabei ernsthaft gewitzt ist und die manchmal ironisch wirkenden, stilistischen Manierismen, die Pirouetten, die er satzweise dreht, doch immer zum Punkt führen, macht das Lesevergnügen aus. Denn oft scheinen die schönsten und die originellsten Gedanken gerade aus den sprachlichen Feinheiten zu entstehen, heraufbeschworen zu werden aus der Freude am noch genaueren, noch wohlüberlegteren Ausdruck.

Genügt uns meist das erstbeste Wort zur Beschreibung eines Phänomens, findet Georg Klein gewiss ein gemäßeres, ungewöhnlicheres. Es mag sich bei der Sammlung „Schund und Segen“ zwar um „abverlangte“ Beträge handeln, aber mit welcher Lust am Text Klein diese Auftrags-Preziosen in eine ansonsten eher dröge Feuilletonlandschaft schmuggelt, macht einen glücklich und bescheiden. Man kommt mit diesen Artikeln auf neue Ideen, und selbst alte Bücher, ob an der Grenze zum guten Geschmack oder längst kanonisiert, wirken plötzlich aufregend und ungelesen.

Dass er es nicht so sehr mit dem Kanon hat und als wilder Leser auf seinen Instinkt vertraut, immer auf der Suche nach den ganz frühen, von Zeigefinger reckenden Oberlehrern unverdorbenen Leseerfahrungen ist, macht den Reiz der Lektüre der Klein’schen Lektüren aus. Und immer wieder stößt man darin auf Sätze, die man sich hinter die Ohren schreiben sollte und die einen beim ratlosen Betrachten der Welt oder auch beim Lesen von Kleins bizarren Romanen ein wenig ermuntern können: „Der wahre Kitzel des Realen liegt im offensichtlich absichtsvoll Geschaffenen, selbst wenn das Wesen göttlicher Absicht dabei ein Geheimnis bleibt.“

■ Georg Klein: „Schund und Segen. 77 abverlangte Texte“. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 424 Seiten, 22,95 Euro