Die Unzertrennlichen

MÄDCHENFREUNDSCHAFT „Ginger & Rosa“, der neue Film von Sally Potter, verzärtelt ein Coming-of-Age

Der Gründungsmythos aller Mädchenfreundschaften sieht so aus: Zwei Mütter gebären am selben Tag Töchter. Aus dem Händehalten während der Wehen wird das Händehalten zweier kleiner Mädchen, die später, zu Teenagern herangewachsen, sich die ersten Zigaretten zusammen anzünden und mit rebellischen Blicken ihren nörgelnden Müttern trotzen. Sally Potter unterlegt in „Ginger & Rosa“ ihre Freundschaftsgeschichte dazu noch mit viel Zeitkolorit. Im Schatten des Atombombenwurfs auf Hiroshima geboren, sind die rothaarige Ginger (Elle Fanning, Schwester von Dakota) und die dunkelhaarige Rosa (Alice Englert, Tochter von Jane Campion) um die 17, als die Kubakrise die Welt in Endzeitstimmung versetzt. Die Mädchen besuchen ihre ersten politischen Versammlungen und gehen demonstrieren. Doch wie es viele aus eigener Erfahrung kennen – gerade als sich weltpolitisch alles auf eine Katastrophe zuzubewegen scheint, gerät auch in Gingers und Rosas Privatleben alles aus den Fugen.

Sally Potter inszeniert offenbar aus autobiografischer Erfahrung. Das öde Nachkriegslondon mit seinem Bleihimmel und den trostlosen Wohnsilos, dazu die versprengte Runde der sich aus Sicht der Teenager oft rätselhaft verhaltenden Erwachsenen, die bittere Ernsthaftigkeit, mit der die Weltereignisse diskutiert werden – das alles zeichnet der Film mit einer Intensität, die sich aus Zeitzeugenschaft nährt. Manches gerät Potter dabei aber auch zu putzig. Ginger & Rosa, wie sie sich die Haare bügeln, Ginger & Rosa, wie sie ans Meer trampen, Ginger & Rosa, wie sie sich mit Jeans in die Badewanne setzen – man hat sich an dieser Mädcheninnigkeit bald sattgesehen. Eigentlich interessant wird es nämlich erst, als die beiden sich auseinanderentwickeln. Ginger will Dichterin werden, Rosa entdeckt das Make-up und ihre Wirkung auf Männer ausgerechnet am Beispiel von Gingers Vater Roland (Alessandro Nivola). Für die intellektuelle Ginger hat das zur Folge, dass sie bald ihre Ängste vor dem Atomkrieg von der Verunsicherung über das, was ihr Vater und ihre beste Freundin da treiben, kaum mehr unterscheiden kann.

An keiner Stelle, auch das spricht für die Unterfütterung durch eigene Erfahrung, spielt Potter das Private und das Politische gegeneinander aus. Im Gegenteil, in seinem Kern handelt ihr Drama von der innigen Verbindung, die das eine mit dem anderen im Kopf und in den Gefühlen eines nachdenklichen Menschen eingeht. Trotzdem lässt „Ginger & Rosa“ den Zuschauer seltsam unbefriedigt zurück. Zugunsten der Zuspitzung auf den Konflikt mit dem Vater gerät dem Film eine ganze Reihe an weitaus interessanteren Konflikten aus dem Blick, etwa die spannende Frage, warum diese Generation der rebellischen Mädchen ihre unglücklichen Mütter nicht verstehen, sondern nur verachten wollten.

BARBARA SCHWEIZERHOF

■ „Ginger & Rosa“. Regie: Sally Potter. Mit Elle Fanning, Alice Englert u. a. Großbritannien u. a. 2012, 90 Min.